EUROPA VOR DEM KRISENGIPFEL - IM INTERVIEW: PHILIPP BAGUS

"In Spanien passiert sehr wenig"

Ökonom aus Madrid skeptisch über Regierung Rajoy

"In Spanien passiert sehr wenig"

Wenig Euro-Optimismus versprühten die Teilnehmer der diesjährigen Hayek-Tage am vergangenen Wochenende in Bayreuth. Auch Philipp Bagus, Assistenzprofessor für Angewandte Volkswirtschaftslehre an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid, zeigte sich in seinem Vortrag wenig zuversichtlich für die Zukunft der Währungsunion. Dies hatte er bereits in seinem 2011 auf Deutsch erschienen Buch “Die Tragödie des Euro” ausgedrückt. Im Interview der Börsen-Zeitung drückt der 31-jährige verheiratete Vater eines Sohnes vor allem seine Skepsis in Bezug auf den Reformkurs in Spanien aus.- Herr Professor Bagus, was ist die “Tragödie des Euro”?Die Tragödie des Euro besteht darin, dass sich Eurolands nationale Regierungen über ein einziges Zentralbanksystem refinanzieren können. Letztlich decken alle Regierungen in der Eurozone ihre Staatsdefizite indirekt über die Geldschöpfung der Europäischen Zentralbank (EZB). Daraus ergibt sich der Anreiz, die Kosten der Staatsausgaben auf die anderen Mitgliedsländer zu externalisieren, etwa in Form erhöhter Inflationsraten wie in den zurückliegenden Monaten und wohl noch wesentlich stärker in der Zukunft.- Aber die Staaten finanzieren sich doch am Markt, nicht bei der EZB.Der Mechanismus läuft so: Griechenland zum Beispiel hat ein Defizit, dafür gibt es Staatsanleihen aus. Diese kaufen die Banken und verwenden sie als Sicherheiten, um sich bei der EZB zu refinanzieren. Mit dem frischen Zentralbankgeld können sie dann wieder Staatsanleihen kaufen, also die griechischen Schulden finanzieren, wodurch die Geldmenge im Euroraum steigt. Als Folge steigen auch die Preise, und zwar nicht nur im Defizitland Griechenland, sondern in allen Euro-Ländern, inklusive Deutschland, nur eben in unterschiedlichem Ausmaß. Die Kosten des Defizits werden auf ausländische Nichtwähler in Form von Kaufkraftverlust externalisiert.- Stecken wir nicht in der Krise, weil die Banken keine Staatsanleihen mehr kaufen?Aber das stimmt ja nicht. Derzeit kaufen die Banken quasi als Einzige noch die Papiere der Krisenländer. Es wäre gut, wenn sie aufhören würden, unverantwortliche Regierungen zu finanzieren.- Sie fordern den Staatsbankrott für Länder wie Spanien, Griechenland, Italien und Portugal?Genau. Nur das wird künftig für finanzielle Disziplin bei den Politikern sorgen. Wer weiß, dass er nicht pleitegehen kann, wird immer höhere Schulden anhäufen, ein klassisches Moral-Hazard-Problem.- Dennoch gibt es Reformen in Europa. Sie sind Deutscher und leben in Spanien. Wie läuft denn dort der Spar- und Reformkurs?In Spanien wird viel über Sparen und Reformieren gesprochen, es passiert aber sehr wenig. Im Jahr 2011 lagen die Staatsausgaben 13 % höher als 2007 und doppelt so hoch wie im Jahr 2000. Es fällt mir schwer zu erkennen, worin der Sparkurs der Regierung genau besteht.- Was müsste denn in Spanien passieren?Zunächst müssten radikal Subventionen gestrichen werden, etwa die staatlichen Gelder für die Gewerkschaften und Unternehmerverbände. Aber es ist natürlich sehr schwer, diese Privilegien abzuschaffen, weil besonders die Gewerkschaften über eine unglaubliche Macht verfügen und jederzeit das Land mit Demonstrationen und politischen Streiks lahmlegen können. Die Regierung wird erpresst.- Laut EU und deutschen Politikern kommt Spanien aber doch gerade bei den Arbeitsmarktreformen voran, es werde jetzt drastisch flexibilisiert, hören wir.Das stimmt nicht. Es gab zwar einige Maßnahmen, die aber erst greifen werden, wenn es wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung gibt. Aber solange das Land in der Rezession steckt, werden diese Maßnahmen nicht wirken. Die gefeierte Kürzung von gesetzlich vorgeschriebenen Abfindungen etwa, die bei Entlassungen gezahlt werden müssen, greift viel zu kurz. Sie wurden um 20 % gekürzt. Nötig wäre aber ihre völlige Streichung, nur dann gäbe es derzeit überhaupt eine Chance auf neue Jobs.- Wären Sie zuversichtlicher, wenn Spanien unter ein richtiges Programm von IWF und EU ginge, also nicht nur seine Banken von den internationalen Geldgebern retten ließe, weil dann eine echte Kontrolle des Reformkurses durch die Troika stattfände?Das wäre ein möglicher Weg. Aber auch hier warne ich vor zu vielen Hoffnungen. Wir sehen in Griechenland, dass auch das nicht funktioniert. Zusagen werden einfach nicht eingehalten.- Aber Griechenland ist doch ein Sonderfall, nicht zu vergleichen mit Spanien, wird uns immer wieder erklärt.Spanien ist jetzt dort, wo Griechenland vor zwei oder drei Jahren war. Die Regierung in Madrid macht sich etwas vor, wenn sie glaubt, dass sie jetzt keine weiteren Reformen mehr anpacken muss. Das staatliche Haushaltsdefizit lag im Jahr 2011 bei 8,9 %. Die EU hatte 6 % vorgegeben. Dieses Jahr sollte das Defizit bei 4,4 % liegen. Brüssel hat bereits zugestimmt, dass es 5,3 % betragen darf. Doch selbst hier glaubt niemand, dass diese Grenze eingehalten wird. Wir sind sehr nahe an griechischen Verhältnissen.- Ist es überhaupt möglich, dass Land auf Vordermann zu kriegen?Natürlich. Aber dazu müsste man zum Beispiel einen radikalen Privatisierungskurs fahren. Das Gegenteil passiert, Banken werden verstaatlicht. Außerdem müsste man Steuern und Sozialabgaben kürzen. Um das zu finanzieren, müsste etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich radikal gekürzt werden, denn hier sind die Ausgaben in den vergangenen zehn Jahren geradezu explodiert.- Als in Deutschland die Agenda 2010 durchgeführt wurde, haben auch viele Ökonomen erklärt: Das ist zu wenig, Strukturreformen werden nicht angegangen. Malen Volkswirte wie Sie vielleicht auch jetzt zu schwarz?Das ist nicht vergleichbar. Spanien startet von einem viel schlechteren Niveau. Seit Jahrzehnten hat das Land einen der rigidesten Arbeitsmärkte in Europa. Selbst in den Boomzeiten vor der Finanzkrise lag die Arbeitslosenquote bei mehr als 10 %, die Jugendarbeitslosigkeit bei 25 %. Diese Probleme wurden auf die lange Bank geschoben und werden jetzt viel zu vorsichtig angepackt. Die Reformpolitik in Spanien ist wesentlich zaghafter als die Agenda 2010. Außerdem sehen wir keine Zurückhaltung bei den Gewerkschaften, wie das in Deutschland der Fall war.—-Das Interview führte Stephan Balling.