Indien verlässt asiatisches Freihandelsprojekt

Trotz Misstrauen rückt die Region wirtschaftlich näher zusammen

Indien verlässt asiatisches Freihandelsprojekt

Von Ernst Herb, HongkongAuf der letzten Meile hin zur Schaffung des weltweit größten Handelsblocks hat mit dem Rückzug Indiens das Misstrauen die Oberhand gewonnen. Das heißt aber nicht, dass das Riesenprojekt der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) gestorben ist. Nach wie vor wollen die zehn zum Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN) gehörenden Volkswirtschaften zusammen mit China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland eine Freihandelszone schaffen.Das Abkommen soll im Verlauf des kommenden Jahres unterzeichnet werden. Dabei kommt in Zeiten erhöhter geopolitischer Spannungen und steigender protektionistischer Tendenzen nicht einmal der RCEP selbst vorrangige Bedeutung zu, sondern der Tatsache, dass so wichtige Volkswirtschaften wie China, Japan oder auch Indonesien ihre Beziehungen intensivieren wollen. Diese am Rande des Anfang der Woche in der thailändischen Hauptstadt Bangkok abgehaltenen ASEAN-Gipfels bekräftigte Absicht hat gerade auch mit der abkühlenden globalen Konjunktur zu tun.Indien hat sich zwar aus Furcht darüber, der Heimatmarkt könnte von billigen chinesischen Importen überschwemmt werden, vorerst vom Projekt zurückgezogen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die drittgrößte asiatische Volkswirtschaft nicht zu einem späteren Zeitpunkt dem Handelsblock nicht doch noch beitreten könnte. Die von Delhi gegen die RCEP vorgebrachten Einwände sind zumindest aus kurz- und mittelfristiger Sicht durchaus verständlich, verbucht Indien im Handel mit China bereits jetzt ein Defizit in Höhe von 54 Mrd. Dollar. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit in dem nach China bevölkerungsmäßig größten Land auf den höchsten Stand in 45 Jahren gestiegen. Das alles hat sicherlich auch mit diskriminierenden Handelspraktiken Chinas zu tun, wie etwa dem bevorzugten Zugang heimischer Unternehmen zu Krediten von staatlich kontrollierten Banken oder dem forcierten Technologietransfer aus dem Ausland. Das sind auch Gründe dafür, dass die Europäische Union bis heute kein Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen hat und die USA das Reich der Mitte mittels Strafzöllen zu einer schnelleren Marktöffnung zwingen wollen.Wohl nicht zuletzt deshalb hat Peking den Handelspakt RCEP in den vergangenen Monaten mit Kraft vorangetrieben. Entsprechend kritisch wird denn auch beobachtet werden, wie ernst es China mit dem Versprechen einer weiteren Liberalisierung seiner Wirtschaft meint.Dabei müssen andere Regionen der Welt nicht einmal befürchten, dass mit RCEP so etwas wie eine “Festung Asien” entstünde. Der Handelspakt wird, wenn einmal in Kraft getreten, dem interregionalen Warenverkehr Vorschub leisten, doch bleibt die Partnerschaft ein relativ lockeres und damit auch offenes Gebilde. Das heißt auch, dass bestehende Freihandelsabkommen Südkoreas, Chinas oder Japans mit Partnern in anderen Teilen nicht in Konkurrenz mit der RCEP stehen, sondern sich ergänzen. Das Projekt ist damit in Zeiten eines wachsenden Protektionismus vorerst in erster Linie ein Bekenntnis zu einer grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit.