Konjunkturampel

Indikatoren signalisieren keinerlei Rezes­sions­gefahr

Kurzfristig mögen sich die Konjunkturperspektiven zwar eingetrübt haben, langfristig gesehen aber sind Ökonomen für die weitere Wirtschaftsentwicklung in Deutschland zuversichtlich. Für 2022 steht die Konjunkturampel der Börsen-Zeitung auf Grün.

Indikatoren signalisieren keinerlei Rezes­sions­gefahr

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Kurzfristig mögen sich die Konjunkturperspektiven zwar eingetrübt haben, langfristig gesehen aber sind Ökonomen für die weitere Wirtschaftsentwicklung in Deutschland zuversichtlich. Auch wenn die Corona-Pandemie noch das alles bestimmende Thema ist – und es auf Sicht auch bleibt – spricht doch einiges dafür, dass es bei einer Delle im Winterhalbjahr wie erwartet bleiben wird. Die Konjunkturampel von Kiel Economics und der Börsen-Zeitung steht jedenfalls auf Grün.

Wahrscheinlichkeit von null

„Eine Rezession ist aus heutiger Sicht im Jahr 2022 praktisch ausgeschlossen“, betont Carsten-Patrick Meier, Leiter von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Signalgeber sind mehr als 50 erwartungsbasierte Indikatoren, anhand derer sich die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt 2008/2009 befindet. Die Wahrscheinlichkeit liegt aktuell bei null (siehe Grafik). Der Aufschwung im kommenden Jahr wäre demzufolge eine ausgemachte Sache. „Sollte man meinen – wenn da nicht die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre wären“, mahnt Meier. Denn diese hätten „die Konjunkturprognostiker einmal mehr Demut gelehrt“. Auch die Konjunkturampel hatte im November 2019 für das Jahr 2020 eine erhöhte Rezessionswahrscheinlichkeit von fast 50% prognostiziert und stand damit auf Gelb. Die Ursache war damals aber die schwache gesamtwirtschaftliche Situation, insbesondere die Probleme in der schwergewichtigen Autoindustrie nach dem Abgasskandal und der Umstellung auf Elektromotoren. Nicht absehbar war, dass ein Virusausbruch im chinesischen Wuhan zur Pandemie werden würde, was die deutsche Wirtschaft wenige Monate später in eine tiefe Rezession riss. Auch wenn die konjunkturelle Grundkondition der hiesigen Industrie besser gewesen wäre, „darf bezweifelt werden“, dass die Rezession des Jahres 2020 in Deutschland vermeidbar gewesen wäre.

Auch nach fast zwei Jahren Erfahrung mit Covid-19 „müssen Konjunkturprognosen nach wie vor mit äußerster Vorsicht genossen werden“, mahnt Meier. Dies gelte auch für die Prognosen der Konjunkturampel, auch wenn diese auf einer Datenhistorie von mehr als sechzig Jahren basiere. Darunter waren zwar sieben Rezessionen, doch gesamtwirtschaftliche Angebotsschocks, wie die Pandemie einen darstellt, spielten dabei nahezu keine Rolle. Dies gilt auch für die Rezessionen, die den vom Opec-Kartell verantworteten Ölpreisschüben in den 1970er Jahren folgten, die häufig als Referenzszenarien für die Pandemie bzw. die derzeitige Ökonomie der weltweiten Lieferengpässe angeführt werden. Die Ölpreisschübe folgten allerdings konjunkturellen Booms, die zu gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten geführt hatten, die sich in einem starken Anstieg der Inflation äußerten. Sie waren also mehr ein nachfrageseitiges als ein angebotsseitiges Phänomen. Man könne daher nur bedingt daraus lernen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft auf eine Pandemie bzw. deren teilweise Überwindung reagiere, folgert Meier. „Vieles von dem, was wir derzeit konjunkturell erleben, ist für die vergangenen Jahrzehnte präzedenzlos.“

Leichte Entspannung

Dies gelte vor allem für die dramatischen Engpässe auf allen Ebenen der globalen Lieferketten. Dafür gibt es aber mehrere Ursachen. Etwa wenn die Arbeit im Homeoffice die Nachfrage nach Halbleitern hochschnellen lässt, die dann kurzfristig in der Automobilproduktion fehlen. Oder Papierhersteller die Produktion von Verpackungsmaterial für den Online-Einkauf zulasten der Produktion von konventionellem Papier hochfahren. Zum Teil hat es mit den starken Anspannungen im weltweiten Logistikgefüge nach der Sperrung im Suezkanal im Frühjahr oder der coronabedingten Schließung von Abfertigungskapazitäten in chinesischen Häfen zu tun. Diese scheinen allerdings zuletzt nachgelassen zu haben. So ist der Anteil der Frachtkapazität, die beladen, aber nicht in Fahrt ist, in der weltweiten Containerschifffahrt im Oktober erstmals seit Jahresbeginn wieder deutlich gefallen, berichtet Vincent Stahmer vom IfW, der den Kiel Trade Monitor berechnet (siehe Grafik).

 Auch beim starken Anstieg der privaten Ersparnisse fehlen Referenzen. Die von der Bundesregierung 2020 beschlossenen großzügigen Maßnahmen zur Einkommenssicherung hatten zur Folge, dass die real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte trotz des dramatischen Rückgangs der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung um fast 5% nicht ins Minus rutschten. In der Spitze verdoppelte sich die Sparquote nahezu, da – auch infolge der Lockdowns – die Einkommen nicht in Konsum umgesetzt wurden. Im dritten Quartal lag die Sparquote laut Statistischem Bundesamt bei 10,7% nach 16,3% im Vierteljahr zuvor. In welchem Umfang und mit welchem zeitlichen Profil die angesammelten Ersparnisse nun konsumwirksam werden, wird die konjunkturelle Entwicklung in diesem Jahr maßgeblich bestimmen. Die meisten aktuellen Prognosen gehen von sehr kräftigen Nachholeffekten aus. Der Sachverständigenrat erwartet für die preisbereinigten Konsumausgaben ein Plus von 7,4%, die Gemeinschaftsdiagnose geht sogar von 7,8% aus. Allerdings ist die Konsumlaune zuletzt deutlich gesunken, wie die GfK-Umfrage für November zeigt (vgl. BZ vom 26. November).

Das Weihnachtsgeschäft dürfte wegen der hohen Inflation und der Sorgen über die Pandemieentwicklung mau ausfallen. Darauf deuten Echtzeitindikatoren hin, die Ökonomen in den Hochzeiten der Pandemie als zuverlässigere Konjunkturfühler galten als „Klassiker“ wie Auftragseingang oder Industrieproduktion. Daten der Reservierungsapp Open Table, die „erschreckend eng mit den von Destatis gemeldeten Gastgewerbeumsätzen korrelieren“, zeigen, dass die Menschen bereits seit Sommer vorsichtiger geworden sind, wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mahnt. Die Google-Mobilitätsdaten zeigen ebenfalls, dass Orte wie Einzelhandel und Freizeit aktuell 8% weniger frequentiert sind als in der Vor-Corona-Zeit, bei Bahnhöfen und Haltestellen sind es 19% weniger. Aus der Umsatzsteueranmeldung der gewerblichen Wirtschaft, in der das Gastgewerbe enthalten ist, lässt sich das noch nicht folgern: Im Oktober gab es ein Plus von 0,8%.

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