Industrie ruft nach Steuersenkung
Die deutsche Wirtschaft dringt hierzulande auf eine Steuerentlastung auf international wettbewerbsfähigem Niveau. Michael Hüther, Direktor des Forschungsinstituts IW, unterstützt dies – und will zugleich die Schuldenbremse wieder abschaffen: Der Staat soll Investitionen aus Krediten finanzieren dürfen. wf Berlin – Eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland haben Vertreter von Unternehmen, Verbänden und aus der Wissenschaft bei der “Steuerkonferenz der deutschen Wirtschaft 2019”, vormals Haarmann-Steuerkonferenz, in Berlin gefordert. Mit einer Steuerbelastung der Unternehmen von 30 % sei Deutschland inzwischen ein Hochsteuerland, konstatierte Monika Wünnemann, Leiterin der Steuerabteilung des Industrieverbands BDI. Michael Hüther, Direktor des Forschungsinstituts IW, stellte der Steuerpolitik der Bundesregierung ein vernichtendes Urteil aus: “Wir verzichten auf alle steuerlichen Instrumente der Innovationsförderung”, sagte Hüther. Er verwies unter anderem auf die seit Jahrzehnten diskutierte, aber noch ausstehende steuerliche Forschungsförderung. Schwarz-Rot hat dies im Koalitionsvertrag versprochen.Mit Blick auf die Innovationsfähigkeit des deutschen Wirtschaftsstandortes plädierte Hüther für die Abschaffung der Schuldenbremse und die Etablierung eines kreditfinanzierten öffentlichen Investitionshaushalts. Politökonomisch sei die Einführung der Schuldenbremse mit Blick auf die Ausgabendisziplin zwar richtig gewesen, doch ließen sich mit diesem Regime und einer Begrenzung der Sozialbeiträge auf 40 % nicht die erforderlichen öffentlichen Investitionen aus den Haushalten finanzieren. Hüther riet dazu, etwa Verkehrswege und digitale Netze von Bund, Ländern und Gemeinden in einen Sonderhaushalt einzubringen, und dafür einen Infrastruktur- und Finanzierungsplan zu entwickeln. “Maximal 25 Prozent” Die Industrie fordert, die Steuerbelastung in Deutschland mit Blick auf den Steuerwettbewerb auf maximal 25 % zu senken. International hätten sich die steuerlichen Rahmenbedingungen nach der letzten Unternehmenssteuerreform hierzulande im Jahr 2008 deutlich geändert, mahnte Wünnemann. Ein möglicher Schritt zur Reduzierung der Lasten sei ein Ende des Solidaritätszuschlags für alle Zahler – also auch für Unternehmen. Schwarz-Rot will 2021 den Solidaritätszuschlag nur für einen Teil der Steuerzahler abschaffen, vorwiegend für geringere Einkommen. Damit flössen rund die Hälfte der Einnahmen von insgesamt 20 Mrd. Euro an die Steuerzahler zurück. Unternehmen würden indessen davon kaum profitieren. “Wir erwarten von der Politik, dass sie nicht auf halbem Weg stehen bleibt”, sagte Wünnemann. Überfällig ist laut BDI auch die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung, für alle Unternehmen und nicht nur für kleine und mittlere Firmen. Das Instrument der steuerlichen Forschungsförderung existiert hierzulande – anders als in vielen anderen EU-Ländern – bislang nicht. Wegen der zu erwartenden Steuerausfälle will das Bundesfinanzministerium die Forschungsförderung beschränken. Berthold Welling, Geschäftsführer des Chemieverbands VCI, erinnerte die Bundesregierung an das Ziel, die öffentlichen und privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2025 auf 3,5 % des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Dies werde in der Wirtschaft nur mit Hilfe der steuerlichen Forschungsförderung gelingen. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lothar Binding, ging auf Distanz zu einer Unternehmenssteuerentlastung und mahnte zur Vorsicht. Die ständige Forderung danach sei Ausweis mangelnder Sensibilität, stellte er fest. Steuersenkungen in Zeiten guter Konjunktur ließen nur die Preise steigen, führten aber nicht zu mehr Produktivität.Hüther konstatierte, Industrie und Arbeitgeber stünden auf verlorenem Posten. Niemand in der Regierung interessiere sich für ihre Anliegen. Zwar werde kein Unternehmen das Land mangels Steuersenkung verlassen, aber sehr wohl überlegen, wo es demnächst investiere. Der Steuerchef von Siemens, Christian Kaeser, entgegnete Binding schlicht: “Dass wir immer dasselbe rufen, liegt daran, dass wir es nicht bekommen.”