Industrie zieht die Wirtschaftsstimmung runter
Industrie zieht die Wirtschaftsstimmung runter
Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas breit basiert – Nachfrageschwäche und Zinserhöhungen belasten – Konjunkturskepsis steigt
ba Frankfurt
Der erneute und kräftige Rückschlag des Ifo-Geschäftsklimas ist ein weiteres Argument für die Konjunkturskeptiker. Dass vor allem in der Industrie die Stimmung deutlich nachgelassen hat, ist für die stark exportlastige deutsche Wirtschaft ein schlechtes Zeichen. Die Winterrezession dürfte sich wohl verlängern.
Steigende Zinsen, nur langsam sinkende Inflation, flaue Weltkonjunktur: Die ohnehin trüben Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind durch den erneuten Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas im Juni noch düsterer geworden. Eine Verlängerung der Rezession des Winterhalbjahres auf das nun endende zweite Quartal wird immer wahrscheinlicher, wie auch schon der jüngste Einkaufsmanagerindex oder die Sentix-Umfrage unter Börsianern signalisiert haben. In den aktuellen Sommerprognosen wie etwa von der Bundesbank, dem Ifo oder dem IfW Kiel wurden die Voraussagen für das laufende Jahr daher bereits drastisch heruntergeschraubt: Sie bewegen sich nun im Bereich zwischen −0,5% und −0,2%.
„Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich merklich eingetrübt“, kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest den Rückgang des Ifo-Geschäftsklimaindex im Juni um 3,0 auf 88,5 Punkte. Ökonomen hatten nach der ein halbes Jahr währenden Stimmungsaufhellung und dem überraschend deutlichen Rückschlag vergangenen Monat zwar ein weiteres Minus erwartet, allerdings nur auf einen Wert von 90,7 Zählern. Das neuntstärkste Minus in der Historie des wichtigsten Frühindikators für die hiesige Wirtschaft war erneut breit basiert: So fielen die Erwartungen deutlich pessimistischer aus und die monatlich 9.000 befragten Unternehmen bewerteten auch ihre aktuelle Lage schlechter.
Schlechte Zeit für Investitionen
„Bei so stark sinkenden Geschäftserwartungen werden Investitionsentscheidungen auf die lange Bank geschoben“, mahnte etwa Andreas Scheuerle, Ökonom der DekaBank. Es braue sich ein konjunkturelles Unwetter zusammen. Die Wahrscheinlichkeit sei gestiegen, „dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch im zweiten Quartal schrumpft“, sagte auch der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe, im Reuters-Interview. Das BIP war Ende 2022 um 0,5% und Anfang 2023 um 0,3 geschrumpft – mit zwei Minusquartalen in Folge gilt die Definition einer „technischen Rezession“ als erfüllt. „Mit deutlichen Nominallohnsteigerungen bei einer gleichzeitig nachlassenden Inflation sind die Voraussetzungen für eine moderate Konsumerholung in den nächsten Quartalen aber nach wie vor gegeben“, findet KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib noch positive Worte. Dank der privaten Verbraucher dürfte das BIP im zweiten Quartal „wieder leicht zulegen“, erwartet die Bundesbank im Monatsbericht Juni.
„Vor allem die Schwäche der Industrie bringt die deutsche Konjunktur in schwieriges Fahrwasser“, betonte Fuest. Das Geschäftsklima im verarbeitenden Gewerbe hat sich laut Ifo „erheblich verschlechtert“. Ursächlich sei eine starke Nachfrageschwäche und die Auftragspolster würden dünner, erklärte Wohlrabe. Mittlerweile würden viele Unternehmen ihren Auftragsbestand als zu niedrig beurteilen. Nicht nur die heimische Nachfrage, sondern auch die Exporterwartungen in der Industrie hätten abgenommen. Die weltweiten Zinserhöhungen dämpfen die Nachfrage – insbesondere der Blick auf die Haupthandelspartner, die USA und China, bereite Sorgen. Denn die US-Wirtschaft steht selbst vor einer Rezession und die Hoffnungen auf eine kräftige und nachhaltige Erholung der chinesischen Wirtschaft nach dem abrupten Ende der strikten Corona-Schutzmaßnahmen haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, zuletzt sind die Konsumausgaben – von Urlaubsreisen bis hin zu Autos und Häusern – im Reich der Mitte zurückgegangen. Die Unsicherheit über die zukünftige Energieversorgung in Deutschland sei zudem „nicht hilfreich“, kommentierte Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer.
Zumindest bei der Inflation deutet sich dem Ifo zufolge eine weitere Entspannung an. So sei der Anteil der Unternehmen, die in den kommenden Woche ihre Preise erhöhen wollen, im Juni gesunken. „Besonders bei den konsumnahen Dienstleistern sehen wir noch Preissteigerungen“, sagte Wohlrabe. Dazu zählten etwa die Bereiche Gastronomie und Tourismus. Im Dienstleistungssektor ist das Geschäftsklima ebenso wie im Handel und im Baugewerbe gesunken, wobei insbesondere Transport und Logistik von der negativen Entwicklung in der Industrie betroffen waren.