Inselstreit mit wirtschaftlichen Kollateralschäden
Von Martin Fritz, Tokio, und Norbert Hellmann, SchanghaiÜberrascht erlebt Japan ein Déjà-vu: Attacken auf japanische Autos, Fabriken, Geschäfte und diplomatische Vertretungen in China hatte es schon einmal vor sieben Jahren gegeben. Im April 2005 löste ein Schulbuch, in dem das japanische Massaker in Nanjing von 1937 verharmlost wurde, die Gewalt aus.Diesmal ist die Nationalisierung von drei winzigen Inseln, die jedoch zuvor im japanischen Privatbesitz waren, die Ursache der Übergriffe. Wieder tragen japanische Firmen die Hauptlast der politisch motivierten Krawalle. Viele ihrer Fabriken, ob Canon, Panasonic oder Sony, sind geschlossen. Ebenso stehen bei Toyota, Honda, Nissan und Mazda die Fließbänder vorläufig still.Der größte Handelskonzern Aeon verbarrikadierte 30 seiner 35 Supermärkte gegen Plünderer. Ebenso verhängten die Ableger japanischer Kaufhäuser wie Seibu oder die Uniqlo-Filialen des Textileinzelhändlers Fast Retailing ihre Schaufenster. Auch japanische Waren verkaufen sich angeblich schlechter. Bereits im August beim Ausbruch des Inselstreits sei der Absatz japanischer Autos zurückgegangen, behauptete der chinesische Autoherstellerverband.Im Vergleich zu 2005 reagieren Japans Politik und Wirtschaft diesmal nervöser, weil die Regierung in Peking die Gewalt mit aggressiver Rhetorik anheizt. Für Verunsicherung sorgte die erstmalige Androhung von wirtschaftlichen Sanktionen.In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Handel zwischen den Nachbarn auf 340 Mrd. Dollar (2011) verdreifacht. China ist mit 21 % vom Außenhandel mit weitem Abstand vor den USA wichtigster Partner Japans. Umgekehrt ist Japan für China ohne den Umschlagplatz Hongkong der drittgrößte Exportmarkt. Hohe Investitionen JapansMehr als die Hälfte dieser Exporte geht auf das Konto japanischer Firmen in China. Seit 1996 haben Japans Unternehmen nach Regierungsangaben 83 Mrd. Dollar in China investiert. Allein 2011 waren es 12 Mrd. Dollar. Dagegen haben Chinas Firmen bis Ende 2011 nur insgesamt 560 Mill. Dollar in Japan angelegt. “Mit Sanktionen kann China Japans Wirtschaft daher einen heftigen Schlag versetzen, ohne sich selbst zu sehr zu verletzen”, freut sich etwa die als Regierungssprachrohr in englischer Sprache fungierende Tageszeitung “China Daily”.Nach Ansicht der Ratingagentur Fitch würde ein längerer Konflikt einige Firmen allerdings hart treffen. Von den Elektronikfirmen erzielt Sharp 20 % des Umsatzes in China, Panasonic 13 % und Sony 9 %. Unter den Autobauern ist Nissan mit 26 % Absatzanteil am stärksten von China abhängig.Als weiteren Hebel gegen Japan brachten chinesische Medien Chinas Besitz von umgerechnet 230 Mrd. Dollar an japanischen Staatsanleihen ins Gespräch. Das Erpressungspotenzial ist aber gering, da diese Summe nur 0,2 % von Japans Schuldenberg entspricht.Dennoch werden Analysten und Anleger genau beobachten, ob japanische Firmen nach dem Abklingen der Proteste in ihren China-Geschäften vorsichtiger werden. Nach den Krawallen von 2005 gewannen sie schnell ihr Vertrauen zurück. Auch diesmal tröstet man sich in Japan damit, dass die Mehrheit der Chinesen für japanische Firmen und Waren aufgeschlossen sei. Den lukrativen, riesigen Absatzmarkt direkt vor der Haustür wollen die Unternehmen trotz antijapanischer Ressentiments nicht aufgeben. Mit dem mutmaßlichen Ende des Wirtschaftswunders in China läuft dieser Wachstumsmotor für japanische Unternehmen aber künftig langsamer.Auch wenn man sich in China mit Blick auf die relative Bedeutung der jeweiligen Absatzmärkte in einer stärkeren Position wähnt, kommt eine Beeinträchtigung der Handelsbeziehungen mit Japan und eine Verschlechterung des Investitionsklimas für Ausländer zur Unzeit. Angesichts der seit Monaten ungewohnt fragilen Verfassung der Konjunktur im Reich der Mitte, die von einer rückläufigen Wachstumsdynamik im verarbeitenden Gewerbe und einer sichtbaren Schwächung des Außenhandelswachstums gezeichnet ist, sind Beeinträchtigungen des Warenverkehrs mit Japan oder Produktionsunterbrechungen bei Industrieunternehmen alles andere als geeignet, das Konjunkturvertrauen zu stärken. Neues UnsicherheitsmomentAus Sicht der Marktteilnehmer jedenfalls hat sich nun ein weiteres konjunkturelles Unsicherheitsmoment eingeschlichen, das sich an der Börse sichtbar niederschlägt. Nun, da sich die Meldungen über gewaltsame Zwischenfälle und Anpassungsreaktionen von japanischen Firmen häufen, reagiert auch der Aktienmarkt sensibel. Nach zwei Handelstagen in dieser Woche verlor der Shanghai Composite Index über 4 % auf 2 060 Punkte und liegt nun wieder dicht am Dreieinhalbjahrestief vom Septemberanfang. Damit hat der Japan-Faktor eine vor knapp zwei Wochen gestartete Rally, die sich an Plänen der Regierung zu einer Wirtschaftsbelebung via forcierte Infrastrukturprogramme aufgehängt hatte, wieder verfrühstückt.Auch auf Einzelunternehmensebene gibt es einige offensichtliche Opfer, obgleich es sich im Gegensatz zu Japan hier nicht um führende Industriekonzerne des Landes handelt. Hart abgestraft am Aktienmarkt wurden allerdings bereits Adressen wie Guangzhou Automobile Corp. und Dongfeng Motor Group, die in verschiedenen Joint Ventures mit Toyota und Nissan zur Produktion japanischer Fahrzeuge auf chinesischem Boden eingebunden sind, sowie dem Komponentenzulieferer Chengdu Galaxy Magnets, bei der zwei Drittel des Konzernumsatzes auf japanische Abnehmer entfallen.Hinzu kommen eine Reihe von Rohstoffproduzenten wie Zijin Mining Group und Jiangxi Copper sowie die mit dem Abbau von Seltenen Erden beschäftigten Bergbauunternehmen, da sie erwarten müssen, dass es im Ernstfall einer Ausweitung des Konflikts zu einer staatlich verordneten Bremsung von Rohstoffexporten nach Japan kommt. Schließlich hatte die chinesische Regierung im Sommer 2010 beim letzten größeren diplomatischen Zwischenfall bezüglich der umstrittenen Inselgruppe mit einem zeitweiligen Exportstopp von Seltenen Erden Richtung Japan einen handelspolitisch bedenklichen Warnschuss abgegeben.Die Seltene Erden genannten Metalle und Oxide sind in der Autoindustrie und zahlreichen High-Tech-Sektoren kaum zu ersetzen, gleichzeitig findet derzeit über 90 % der Weltproduktion auf chinesischem Boden statt. Die japanische Industrie zählt zu den wichtigsten Abnehmern von Seltenen Erden, hat sich allerdings mit dem Anlegen von Lagerbeständen, die nach Einschätzung von Sektorexperten für mindestens ein Jahr den laufenden Bedarf abdecken könnten, zur Überbrückung von politisch motivierten Lieferengpässen einigermaßen abgesichert.