Intensives Ringen um Brexit-Vertrag

Heutiger EU-Gipfel soll entscheiden - Nordirlands Unionisten pochen auf das Karfreitagsabkommen

Intensives Ringen um Brexit-Vertrag

Die EU und Großbritannien haben gestern den ganzen Tag über noch einmal intensiv um einen Brexit-Vertrag gerungen, der heute auf dem EU-Gipfel diskutiert werden soll. Eine Einigung wurde immer wieder verschoben.Probleme bereitete offenbar, dass die nordirischen Unionisten auf Mitsprache bestehen. ahe/hip Brüssel/London – Rund zwei Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens werden die Staats- und Regierungschefs der Union bei ihrem Treffen heute und morgen in Brüssel erst einmal die Ergebnisse der jüngsten Verhandlungsrunde bewerten. Ziel der intensiven Gespräche, die auch gestern noch den ganzen Tag über anhielten, war, dass auf dem Gipfel ein Grundsatzpapier zum Austrittsvertrag gebilligt werden kann. Am Samstag soll darüber das britische Parlament abstimmen. Auch ein weiterer Sondergipfel vor Monatsende war gestern Abend noch nicht vom Tisch.Die Grundlagen der Vereinbarung gebe es bereits, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk gestern Nachmittag im polnischen Fernsehen. Später hieß es auch in EU-Kreisen, der Vertrag sei so gut wie fertig. Eine Bestätigung stand zu Redaktionsschluss allerdings noch aus. Ein ursprünglich für den Mittag geplantes Briefing der EU-Botschafter durch Verhandlungsführer Michel Barnier wurde mehrfach verschoben. Agenturen berichteten am frühen Abend, es habe eine Einigung über gleiche Wettbewerbsbedingungen und über Zölle gegeben. Das Parlament im britischen Nordirland müsse alle vier Jahre den Regelungen zustimmen. Allerdings seien noch Fragen zur Mehrwertsteuer offen.Der für den EU-Austritt zuständige Staatssekretär Stephen Barclay sagte vor dem Brexit-Ausschuss des Unterhauses in London, dass Premierminister Boris Johnson Brüssel um eine Verlängerung der Austrittsfrist bitten werde, wenn bis zum 19. Oktober kein Deal in trockenen Tüchern sei. Aus der Downing Street wurde unterdessen bestätigt, dass das Parlament am Samstag zusammentreten soll. Noch ein Sondergipfel?Barclay sagte, dass die Regierung Entwürfe für den Text einer neuen gemeinsamen politischen Erklärung mit der EU zu den künftigen Beziehungen nach Brüssel übermittelt hat. Es gehe dabei um eine Reihe von Aspekten, die sich in der Diskussion befänden. Er gehe davon aus, dass der Vorschlag vom Unterhaus abgesegnet werde – anders als die von der Verwaltung im Namen von Theresa May ausgehandelte Austrittsvereinbarung, die drei Mal niedergestimmt wurde.Unterdessen bemühte sich Johnson um die Zustimmung der nordirischen Unionisten zu seinen Anstrengungen, eine Übereinkunft zu erzielen. Die Regierung ist auf die zehn Mandate der Democratic Unionist Party (DUP) angewiesen, wenn sie einen Deal durchs Unterhaus bringen will. Parteichefin Arlene Foster verlangte “einen vernünftigen Deal”, dem Unionisten und Republikaner zustimmen könnten. Sie besteht auf einem Mitspracherecht der Lokalregierung.”Die Verpflichtung der Regierung und der EU, das Karfreitagsabkommen aufrechtzuerhalten, wird demnächst auf die Probe gestellt werden”, twitterte der DUP-Abgeordnete Sammy Wilson, der für das Thema Brexit verantwortlich zeichnet. Er erinnerte daran, dass das Abkommen, durch das der Bürgerkrieg in Ulster beendet wurde, die Zustimmung beider Lager zu umstrittenen Themen verlangt. Die Unionisten wollen unbedingt vermeiden, dass es zu einer Zollgrenze zwischen Nordirland und Restbritannien kommt. Johnsons Vorschlag an die EU sah vor, dass Nordirland zwar de facto weiter dem gemeinsamen Markt der EU angehören und damit deren regulatorischer Aufsicht unterliegen sollte. Zugleich sollte es jedoch die Zollunion verlassen. Die institutionalisierte Teilung der Macht zwischen Republikanern und Unionisten, die im Karfreitagsabkommen festgeschrieben wird, ist im Januar 2017 zusammengebrochen. Seitdem gibt es in Nordirland keine arbeitsfähige Regionalregierung. An ihrem Sitz im Belfaster Stadtteil Stormont teilten sich die gegnerischen Lager knapp zwei Jahrzehnte lang die Macht.”Ich glaube nicht, dass es hilfreich wäre, zu viel über den genauen Stand der Diskussionen oder den exakten Zeitrahmen zu sagen, in dem eine Übereinkunft möglich wäre”, erklärte der irische Premier Leo Varadkar vor dem EU-Gipfel. Er sei davon überzeugt, dass alle Seiten eine Einigung anstrebten, die im Interesse Irlands, Großbritanniens und der EU insgesamt sei. Er sei zuversichtlich, dass er die Ziele seiner Regierung in den Verhandlungen erreichen könne.