Inzidenz geht in Richtung Lockdown statt Lockerung
sp Berlin
Wenige Tage vor den nächsten Beratungen von Bund und Ländern zur Corona-Lage am nächsten Montag hat das Infektionsgeschehen in Deutschland weiter Fahrt aufgenommen. Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Mittwoch eine Sieben-Tages-Inzidenz über 86, während sie vor einer Woche noch bei 65 lag. Der Anteil von hoch ansteckenden Virusvarianten ist dabei weiter auf dem Vormarsch, heißt es in einem Bericht des RKI. Die sogenannte „britische“ Variante B.1.1.7 werde inzwischen in etwa drei von vier Proben gefunden, während ihr Anteil in der vergangenen Woche noch bei 55% gelegen habe. Die deutschen Intensivmediziner fordern deshalb eine Rücknahme der jüngsten Öffnungsschritte aus dem coronabedingten Teil-Stillstand. „Man wird einfach angesichts einer Inzidenz über 100, was man ja als Messlatte angelegt hat, entscheiden müssen, dass man wieder zurückrudern muss“, sagte das Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Uwe Janssens, im Deutschlandfunk.
Der Öffnungsplan der Bundesregierung sieht eigentlich vor, bereits ab dem nächsten Montag überall dort weitere Lockerungen zu ermöglichen, wo die Inzidenz unter 50 liegt. Auch bei 50 bis 100 Neuinfektionen pro 100000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen sollen weitere Öffnungsschritte möglich sein, soweit ausreichend viele Schnelltests zur Verfügung stehen. Doch nicht nur im Berliner Regierungsviertel mehren sich die Anzeichen dafür, dass bei den Bund-Länder-Beratungen am Montag die im Öffnungsplan eingebaute Notbremse gezogen und eine weitere Verlängerung der geltenden Lockdown-Bestimmungen beschlossen werden könnte. „Aus meiner Sicht ist der zweite und dritte Schritt vor dem ersten gemacht worden, was sich jetzt in Anbetracht der steigenden Zahlen bestätigt“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch der „Leipziger Volkszeitung“.
Der weitere Corona-Kurs der Bundesregierung dürfte auch von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) abhängen, die heute entscheidet, ob der Corona-Impfstoff von AstraZeneca wieder verimpft werden kann. Bereits am Freitagnachmittag wollen sich Bund und Länder beraten, was die Entscheidung der Behörde für die gemeinsame Impfstrategie und insbesondere die Einbindung der Hausarztpraxen bedeutet.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die Impfungen am Montag auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts wegen sieben seltener Fälle von Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit dem Impfstoff gestoppt. Auch zahlreiche andere EU-Staaten taten diesen Schritt. Erwartet wird, dass die EMA die Impfung mit AstraZeneca wieder zulässt, dafür aber ein gesonderter Warnhinweis im Beipackzettel auftaucht. Ob dann die bestehende Priorisierung bei der Impfung beibehalten werde, sei offen, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Berlin.