NOTIERT IN BRÜSSEL

Islamisten und Rassisten

Seit letzter Woche sorgt in Belgien eine Studie für Gesprächsstoff, die ein grelles Licht auf die Befindlichkeiten im Lande wirft. Genauer gesagt geht es um eine Umfrage unter 4 700 Belgiern zu ihrer Haltung zum Islam. Die Ergebnisse sind in ihrer...

Islamisten und Rassisten

Seit letzter Woche sorgt in Belgien eine Studie für Gesprächsstoff, die ein grelles Licht auf die Befindlichkeiten im Lande wirft. Genauer gesagt geht es um eine Umfrage unter 4 700 Belgiern zu ihrer Haltung zum Islam. Die Ergebnisse sind in ihrer Deutlichkeit überraschend: Zwei Drittel der Befragten finden, dass es zu viele Einwanderer gibt. 60 % halten Muslime eher für eine Bedrohung für die Gesellschaft. Als eine kulturelle Bereicherung stufen sie lediglich 13 % ein. Drei von vier Belgiern halten den Islam für eine intolerante Religion (zum Vergleich: nur 14 % sagen dies über den Katholizismus). An die einfache Formel “Flüchtling gleich Muslim gleich potenzieller Terrorist” glaubt eine Mehrheit im Lande. *Die Umfrage im Auftrag des TV-Senders RTBF und der Zeitung “Le Soir” offenbart tiefe Gräben in der Gesellschaft. Und Soziologen versuchen seither zu erklären, wie ausländerfeindlich oder gar rassistisch das Land denn nun wirklich ist und warum das Zusammenleben gescheitert ist. Die muslimische Gemeinschaft in Belgien ist mit weniger als 500 000 Mitgliedern zahlenmäßig zwar nicht groß. Sie ist hinter der katholischen aber immerhin die zweitgrößte Religionsgemeinschaft im Land. In einigen Großstädten ist sie auf eine beträchtliche Größe gewachsen, vor allem in der Region Brüssel, wo etwa jeder vierte Bewohner islamischen Glaubens ist. Im Stadtteil Saint-Josse nördlich der Innenstadt ist Zahlen der Universität Neu-Löwen zufolge sogar jeder zweite Bürger Muslim. *Dass die Entfremdung keinesfalls einseitig ist, macht die neue Studie, in der auch 400 Muslime befragt wurden, ebenfalls deutlich. Eine große Mehrheit der Muslime in Belgien fühlt sich nämlich fremd im eigenen Land. Sie würden als Ausländer betrachtet, auch wenn viele von ihnen im Land geboren worden seien und die belgische Staatsangehörigkeit hätten, klagten 69 % der Befragten. Unter den Frauen sind sogar 85 % dieser Ansicht. Soziologen erklären diese deutlichen Ergebnisse mit dem Gefühl des Abgehängtseins, das unter anderem mit der schlechten Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage von Migranten zusammenhängt. Selbst das Arbeitsministerium hat schon eingeräumt, dass die “Teilnahme am Arbeitsmarkt für Personen ausländischer Herkunft in Belgien schwieriger ist als in den meisten EU-Ländern”. Die Jugendarbeitslosigkeit in den Migrantenvierteln der Großstädte liegt bei 50 %. Viele hier haben keinen Schulabschluss. *Der Studie zufolge kann ein Drittel der Muslime heute nichts mit Kultur und Lebensweise in Belgien anfangen. Ebenso viele würden die Einführung eines vom Koran inspirierten politischen Systems befürworten. – Wie konnte es zu einer solchen Parallelgesellschaft kommen? Mit dieser Frage hat sich der Schriftsteller und Historiker David Van Reybrouck im vergangenen März nach den Anschlägen in Brüssel auseinandergesetzt und kam zu dem Ergebnis, dass dies auch mit der ewigen Auseinandersetzung zwischen Flamen und Wallonen zu tun hat. Eben weil Belgien sich auf das Beilegen alter Konflikte fixiert habe, sei man immer damit beschäftigt, Macht und Geld entlang alter Verwerfungslinien zu verteilen, so Van Reybrouck. Dadurch sei aber kaum Aufmerksamkeit übrig für neue Konflikte, selbst wenn die viel drängender seien. Ein Opfer des Streits zwischen Flamen und Wallonen seien so genau diejenigen, die sich mit keiner der beiden Gruppen identifizierten: die Migranten. Auch der deutsche Philosoph Jürgen Manemann verweist darauf, dass die belgische Gesellschaft tief gespalten sei und dazu auch noch die Präventionsarbeit vernachlässigt habe. Belgien sei daher neben Frankreich nicht zufällig das Land, in dem die dschihadistische Ideologie auf fruchtbaren Boden falle.Und nicht zufällig ist so Belgien auch das Land in Europa, aus dem in den letzten Jahren die mit Abstand meisten Islamisten zum Kämpfen nach Syrien gereist sind. Damit schließt sich der Teufelskreis aus Angst, Ablehnung, Entfremdung und Radikalisierung. Wie er durchbrochen werden kann, weiß in Belgien zurzeit niemand so recht.