LEITARTIKEL

Italien droht böses Erwachen

Der Chef der 5 Stelle, Luigi Di Maio, und seine Anhänger feierten ihren "Sieg" am Donnerstag vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten wie ein gewonnenes Fußballspiel. "Wir haben es geschafft", rief er den fahnenschwenkenden Parteifreunden zu. "Heute...

Italien droht böses Erwachen

Der Chef der 5 Stelle, Luigi Di Maio, und seine Anhänger feierten ihren “Sieg” am Donnerstag vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten wie ein gewonnenes Fußballspiel. “Wir haben es geschafft”, rief er den fahnenschwenkenden Parteifreunden zu. “Heute ist ein historischer Tag. Morgen wachen wir in einem neuen Land auf.”Es ging nicht um Fußball. Es ging um den Defizitwert. Was kein ernsthafter Ökonom erwartet hatte und wogegen Wirtschaftsminister Giovanni Tria bis zuletzt gekämpft hatte, wurde Wirklichkeit. Italien peilt für den Haushalt 2019 ein Defizit klar über 2 % an. 2,4 %, genauer gesagt. Das ist eine Kampfansage an Brüssel und an die Finanzmärkte.Eine letzte Rechtfertigung für die 5 Stelle und die Lega war das Defizit von 2,8 %, das Frankreich für 2018 anpeilt, wobei ausgeblendet wird, dass die französischen Schulden viel niedriger sind und Italien einen Schuldendienst von jährlich 70 Mrd. Euro zahlt – 30 Mrd. mehr als Frankreich. Doch sämtliche Warnungen wurden in den Wind geschlagen: die von Notenbankchef Ignazio Visco, der die Schuldenverträglichkeit bezweifelt, die von EZB-Chef Mario Draghi, der durch den Anstieg des Zinsabstands zwischen deutschen und italienischen Bonds schwere Schäden für Italien konstatiert, sowie die von Ökonomen und von EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Auch die Mahnungen Trias, der von den Märkten bisher als Stabilitätsgarant betrachtet wurde und der bis zuletzt für ein Defizit unter 2 % kämpfte, was schon mehr als doppelt so viel gewesen wäre wie die 0,8 %, welche die Vorgängerregierung für 2019 plante, wurden ignoriert.Der parteilose Wirtschaftsprofessor Tria war isoliert. Er konnte sich nicht durchsetzen gegen die Regierungsparteien, die ein hohes bedingungsloses Grundeinkommen, eine Flat Tax, das verantwortungslose Zurückdrehen der Rentenreform und den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung unbedingt durchsetzen wollten. Angesichts der Kosten dieser Maßnahmen, die Experten auf 100 Mrd. Euro und mehr kalkulieren, wird das Defizit womöglich sogar noch höher ausfallen.Die Schulden von 131,2 % des Bruttoinlandsprodukts werden weiter steigen. Das strukturelle Defizit auch. Das sind fatale Zeichen. Der Schuldenstand ist 6,5-mal so hoch wie der griechische. Wenn die EZB allmählich beginnen wird, die Zinsen anzuheben, wachsen die Kosten für den Schuldendienst. Dass die Ratingagenturen Moody’s und S&P das Land im Oktober zurückstufen werden, ist klar – offen ist nur, ob auf Ramschniveau oder nicht. Italien droht eine Katastrophe. Ausländische Investoren, die noch 30 % der Schulden von mehr als 2,3 Bill. Euro halten, dürften schon im Vorfeld die Flucht ergreifen.Es muss nicht zum Schlimmsten kommen. Doch Italien und seinen Unternehmen droht ein erschwerter Zugang zu den Finanzmärkten. Und ausgerechnet jetzt lässt die Europäische Zentralbank ihr Anleihekaufprogramm auslaufen. Die gerade stabilisierten Banken Italiens könnten in massive Schwierigkeiten geraten, denn sie halten viele Staatstitel. Auch für die vielen Mittelständler einer sehr exportstarken Industrie dürften sich die Finanzierungsbedingungen massiv verschlechtern.Es ist sekundär, ob Brüssel ein Verfahren gegen Italien einleitet. Die EU hat schon viel zu lang zugeschaut und dem Land immer wieder neue Spielräume eingeräumt, welche die Regierungen aber nicht genutzt haben, um es zu sanieren. Es sind nun die Märkte, die das entscheidende Wort haben. Rom wird deren Reaktion als Beweis für einen Komplott der internationalen Finanzeliten gegen eine Regierung des Volkes interpretieren. Viele Formulierungen von Lega und 5 Stelle erinnern fatal an dunkle Zeiten des vergangenen Jahrhunderts. Es spricht wenig dafür, dass sich die Regierung besinnt. Und selbst wenn Tria bleiben sollten, wozu ihn Staatspräsident Sergio Mattarella angeblich überredet haben soll: Angesichts seiner Machtlosigkeit hat er an Glaubwürdigkeit verloren.Trotz der vehementen Marktreaktionen ist nicht gesagt, dass Italien unmittelbar in die Krise schlittert. Doch angesichts der Höhe seiner Schulden, seiner wirtschaftlichen Bedeutung und seiner Verflechtung mit der europäischen und globalen Wirtschaft hat das Land das Potenzial, eine neue und schwere Rezession weltweit auszulösen. Externe Schocks wie Handelskriege, ein starker Ölpreisanstieg oder Krisen in Schwellenländern könnten eine solche Entwicklung beschleunigen.Auf einen großen Sieg folgt oft ein böses Erwachen. Italien, Europa und die Welt könnten mit weit mehr als einem schweren Kater aufwachen.—–Von Gerhard BläskeDass die Ratingagenturen Moody’s und S&P das Land im Oktober zurückstufen werden, ist klar – offen ist nur, ob auf Ramschniveau oder nicht.—–