Italien steuert auf eine Rezession zu

Nur geringe Zugeständnisse beim Budget - EU-Staaten befürworten Einleitung eines Defizitverfahrens

Italien steuert auf eine Rezession zu

Italiens Regierung will angesichts der starken Konjunktureintrübung im Haushaltsstreit mit der EU-Kommission Zugeständnisse machen. Doch diese dürften nicht ausreichen, um die Einleitung eines Defizitverfahrens zu verhindern. Die EU-Staaten haben entsprechenden Schritten bereits zugestimmt.bl/ahe Mailand/Brüssel – Italiens Regierung könnte sich in der kommenden Woche einer Vertrauensabstimmung in der Abgeordnetenkammer unterziehen, um den umstrittenen Haushaltsentwurf für 2019 schnell und ohne Änderungen durchzubringen. Das berichten italienische Medien. Dann müsste nur noch der Senat zustimmen.Angesichts negativer Signale aus der Wirtschaft zeigt sich die Regierung aber gesprächsbereit. “Wir arbeiten, um den Haushaltsplan zu verabschieden und ein Klima des Vertrauens mit Investoren und Finanzmärkten zu schaffen”, sagte Premierminister Giuseppe Conte. Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini machte aber deutlich, dass nur eine Senkung des Defizitziels um 0,2 Prozentpunkte auf 2,2 % realistisch sei. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Rom von einem unrealistisch hohen Wachstum von 1,5 % ausgeht. Die EU-Kommission rechnet daher mit einem Fehlbetrag von 2,9 %.”Italien steht vor einer Rezession”, fürchtet der Chef einer großen Mailänder Bank, der sich vor ausländischen Journalisten äußerte. Das Statistikamt Istat meldete für Oktober einen Anstieg der Arbeitslosenzahl gegenüber September um 64 000 auf 2,75 Millionen. Das entspricht einer Arbeitslosenrate von 10,6 % und ist schlechter als erwartet. Das Verbrauchervertrauen geht zurück, die Industrieproduktion sinkt seit Jahresmitte. Istat korrigierte außerdem die Wachstumszahl für das dritte Quartal nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt sank wegen der schwachen Inlandsnachfrage und niedrigerer Investitionen um 0,1 % gegenüber dem zweiten Quartal. Erstmals seit vier Jahren ist Italiens Wirtschaft damit geschrumpft. Ursprünglich hatte Istat ein Nullwachstum gemeldet. Auch für das vierte Quartal erwarten Analysten ein Minus. Kreditklemme befürchtetBei den Ausfuhren – traditioneller Wachstumsmotor der italienischen Wirtschaft -, die im ersten Halbjahr 2018 noch um 4 % wuchsen, hat laut Alessandro Terzulli, Chefvolkswirt der staatlichen Exportversicherung SACE, im Herbst “eine klare Trendwende” eingesetzt.Vermögensverwalter berichten, dass vermögende Italiener zunehmend in Panik geraten und Gelder in die Schweiz transferieren. Unternehmen schieben Investitionen in der Hoffnung auf, die Regierung werde spätestens Mitte 2019 fallen. Investmentbanker verweisen auf die Auswirkungen des hohen Zinsaufschlags (Spread) für italienische gegenüber deutschen Staatsanleihen: Zahlreiche Banken geizten mit Krediten. Die Zinsen für Darlehen steigen deutlich. Der frühere Wirtschaftsminister Corrado Passera, der eine eigene Bank gegründet hat, die sich auf die Finanzierung von Start-ups und Kleinunternehmen spezialisiert hat, sagte der Börsen-Zeitung: “Es ist eine Kreditklemme zu erwarten. Ich beobachte außerdem, dass sich ausländische Investoren aus Italien zurückziehen.”Da sich private Haushalte, die traditionell stark in Staatsanleihen investiert sind, bei der Neuausgabe von Bonds zuletzt zurückgehalten haben, mussten Banken und Versicherungen einspringen. Dabei sitzen sie schon auf großen Beständen von Bonds, auf die sie wegen des hohen Spreads Abschreibungen vornehmen müssen, die ihre Kapitalquoten drücken. Diese Entwicklung könnte anhalten, denn 2019 muss Italien Staatspapiere im Umfang von 400 Mrd. Euro platzieren.Die Regierung hofft, durch die Senkung des Rentenalters, die angesichts dramatisch sinkender Geburtenzahlen unverantwortlich ist, oder durch die Einführung der im internationalen Vergleich sehr hohen Grundsicherung von 780 Euro monatlich den Arbeitsmarkt und den Konsum anzukurbeln. Der Präsident der Rentenversicherungsanstalt INPS, Tito Boeri, bezweifelt, dass die 400 000 Frührentner, die von der Absenkung des Renteneintrittsalters auf 60 bis 62 Jahre profitieren, gänzlich durch junge Arbeitskräfte ersetzt werden, wie es die Regierung glaubt. Die Einführung des Mindesteinkommens werde nur ein kurzes konjunkturelles Strohfeuer erzeugen. Juncker sieht “Fortschritte”Ungeachtet der schwierigen wirtschaftlichen Lage treibt die EU die Prozesse in Richtung eines Defizitverfahrens gegen Italien weiter voran. Die EU-Staaten gaben auf Staatssekretärsebene im Wirtschafts- und Finanzausschuss (EFC) grünes Licht für die Einleitung eines Verfahrens. Sie bestätigten die Analyse der EU-Kommission, wonach ein solcher Schritt angemessen ist. Den nächsten Schritt muss nun wieder die Brüsseler Behörde tun.EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach dagegen am Rande des G 20-Gipfels in Buenos Aires von einer guten Atmosphäre in den Gesprächen mit Rom. “Wir machen Fortschritte”, betonte er.