Schuldenregeln

Italiens riskantes Manöver mit dem ESM

Italiens Regierung knüpft die Ratifizierung der eigentlich abgehakten Reform des Euro-Rettungsfonds ESM an Zugeständnisse bei den Haushaltsregeln. Bei einer Sondersitzung könnte es bald zum Schwur kommen.

Italiens riskantes Manöver mit dem ESM

Italiens riskantes Manöver mit dem ESM

Rom knüpft Ratifizierung von Reform des Rettungsfonds an Zugeständnisse bei Fiskalregeln – Sondersitzung Ende November

Italiens Regierung knüpft die Ratifizierung der eigentlich längst abgehakten Reform des Euro-Rettungsfonds ESM an ein Entgegenkommen bei den Haushaltsregeln. Deutschland und Frankreich treiben die Verhandlungen voran. Bei einer Sondersitzung der Finanzminister übernächste Woche könnte es zum Schwur kommen.

bl/rec Mailand/Brüssel

In die zähe Reform der europäischen Schuldenregeln kommt Bewegung – einerseits. Deutschland und Frankreich treiben das Vorhaben neuerdings nach Auskunft der Minister Christian Lindner und Bruno Le Maire gemeinsam voran. Ende November ist eine Sondersitzung mit den Kollegen der übrigen EU-Staaten geplant, um einen Kompromiss festzuzurren.

Dann könnte es zum Schwur kommen. Denn Italiens Regierung – das ist die Kehrseite – blockiert die Reformbestrebungen als einzige mehr oder minder offen. Und das mit einem ungewöhnlichen Manöver: Das Parlament in Rom macht keine Anstalten, der längst vereinbarten Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zuzustimmen.

Seit Premierministerin Giorgia Meloni vor einem Jahr ins Amt gekommen ist, haben Regierung und Parlament die Abstimmung über die ESM-Reform immer weiter verzögert. Sie war bereits im Frühjahr angesetzt, wurde aber verschoben. Und nochmal. Und nochmal. Nun soll die für nächste Woche vorgesehene Abstimmung in beiden Häusern des Parlaments frühestens im Januar stattfinden.

Inzwischen ist offenkundig, was anfangs gemunkelt wurde: Die Regierung in Rom knüpft die Ratifizierung des reformierten ESM-Vertrags an ein Entgegenkommen der europäischen Partner und "weichere" Fiskalregeln. Setzt sie sich nicht durch, bleibt der EU-Kommission wohl keine Wahl, als angesichts der Haushaltsplanung Italien auf Basis der alten Regeln als Defizitsünder zu brandmarken.

Rom stößt sich an den vor allem von Bundesfinanzminister Lindner verlangten verbindlichen Zielen für Schuldenabbau und Defizitgrenzen sowie Sanktionen bei Verstößen. Außerdem verlangt Rom, dass Investitionen in Rüstung, die Energiewende sowie im Rahmen des EU-Wiederaufbaufonds bei der Defizitberechnung ausgeklammert werden. Italiens Regierung will keine Verpflichtungen eingehen, die sie ohnehin nicht erfüllen kann. Die Märkte werden bereits nervös (siehe Grafik). Da hält es Meloni noch für besser, die früheren Regeln wiedereinzusetzen, mit denen Rom trotz regelmäßiger Verstöße ganz gut gefahren ist, weil es nie wirkliche Sanktionen gab.

Dass Rom seine Zustimmung zu überarbeiteten Schuldenregeln an Zugeständnisse bei einem eigentlich längst abgehakten Thema verknüpft, ruft in Brüssel und in Luxemburg beim Rettungsfonds ESM eine Mischung aus Zweckoptimismus und Ratlosigkeit hervor. Auch Ökonomen wie Lucrezia Reichlin halten das Vorgehen für riskant. Die Eurogruppe hatte Rom um eine Ratifizierung des ESM bis spätestens Ende November gebeten. Andernfalls könnte auch diese Reform nicht, wie geplant, zum neuen Jahr in Kraft treten.

Der ESM steht zwar nicht per se in seiner ursprünglichen Funktion als letzte Instanz bei Staatsschuldenkrisen zur Disposition. Wohl aber eine zusätzliche Verteidigungslinie im Falle einer Bankenkrise: Der ESM soll "Backstop" für den Abwicklungsfonds SRF werden. Das geht nicht, solange Italien als einziges Land die Ratifizierung verweigert. Meloni und ihre Verbündeten sind aus diversen Gründen gegen den ESM und wollen vor allem die mit einer Inanspruchnahme verbundenen Verpflichtungen nicht akzeptieren.

Die Regierungschefin will mit ihrer harten Haltung wohl auch innenpolitisch punkten. Denn in der Flüchtlingspolitik hat sie ihre Anhänger enttäuscht, und außerdem steigen die Schulden. Die groß angekündigte Bankensondersteuer war ein Flop. Und am Freitag droht womöglich eine Herabstufung des Landes durch die Ratingagentur Moodys auf Ramschanleihenniveau. Das wäre ein verheerendes Signal an die Märkte und Investoren.

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