IWF-Chefin Lagarde winkt bei Europas Top-Jobs ab
Von Mark Schrörs, FrankfurtIm Poker um absehbar zu besetzende Top-Jobs in Europa hat IWF-Chefin Christine Lagarde klargemacht, dass sie kein Interesse daran habe, an die Spitze der EU-Kommission oder der Europäischen Zentralbank (EZB) zu rücken. “Ich bin an keinem der europäischen Jobs interessiert”, sagte Lagarde der “Financial Times”. Sie haben einen “sehr wichtigen Job”, den sie gerne mache. Zu Spekulationen, sie könne auf Jean-Claude Juncker oder Mario Draghi folgen, sagte sie, sie sei “ein wenig genervt und habe genug davon”.Die 62-jährige Französin war zuletzt immer mal wieder als mögliche Nachfolgerin für Juncker oder Draghi gehandelt worden. Die ehemalige Wirtschafts- und Finanzministerin ihres Landes steht seit Juli 2011 an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) und genießt weltweit in der Politik und der Finanzwelt hohes Ansehen. Zwar galt sie zuletzt weder für die Juncker- noch für die Draghi-Nachfolge als aussichtsreichste Kandidatin. Ihr Name fiel aber immer mal wieder. Auch in Notenbankkreisen selbst war sie ein Thema, obwohl sie über keine Zentralbankerfahrung verfügt.Das Rennen um absehbar frei werdende Spitzenjobs in Europa nimmt derzeit immer mehr Fahrt auf. Erst Ende vergangener Woche hatte der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber (46) als erster der möglichen Kandidaten sein Interesse an der Juncker-Nachfolge öffentlich gemacht. Europas Konservative (EVP) nominieren am 7. November ihren Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl im Mai 2019. Da die EVP gute Chancen hat, stärkste Fraktion im EU-Parlament zu werden, hätte ihr Spitzenkandidat zugleich sehr gute Aussichten, neuer EU-Kommissionspräsident zu werden.Mit Webers Ambitionen und der offenkundigen Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten sich zuletzt die Chancen von Bundesbankpräsident Jens Weidmann, Ende 2019 Draghi-Nachfolger zu werden, deutlich reduziert. Zuvor hatte der 50-Jährige als Top-Anwärter gegolten, auch wenn er als geldpolitischer Hardliner im EZB-Rat in den südlichen Euro-Ländern wenige Freunde hat. Seine Expertise als Notenbanker ist unbestritten, und Deutschland hat noch keinen EZB-Präsidenten gestellt.Mit einem Aus Weidmanns wäre das Rennen um die Draghi-Nachfolge wieder komplett offen (vgl. BZ vom 24. August). In einer vor kurzem veröffentlichen Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg unter Ökonomen schaffte es der ehemalige finnische Zentralbankchef Erkki Liikanen auf Platz 1 – wenn auch nur knapp vor seinen Amtskollegen François Villeroy de Galhau (Frankreich) und Philip Lane (Irland). Weidmann, der bei einer früheren Umfrage haushoch geführt hatte, landete nur noch auf dem vierten Platz. Liikanen steht hoch im KursLiikanen gilt den Beobachtern als Vertreter eines kleinen Landes auch als guter Kompromiss zwischen den Befürwortern einer eher restriktiven und einer eher laxen Geldpolitik. Er ist indes im Juli 2018 aus dem Amt des Zentralbankchefs geschieden und wäre bei Dienstantritt bei der EZB im November 2019 mehr als ein Jahr lang aus dem aktiven Geschäft heraus gewesen. Liikanen wäre bei Antritt des Jobs 68 Jahre und nach acht Jahren Amtszeit 76 Jahre.Irlands Zentralbankchef Lane gilt vielen Beobachtern als weiterer möglicher Kompromisskandidat, wenn es keiner aus einem großen Land werden sollte. Der 49-Jährige genießt weltweit einen exzellenten Ruf als Ökonom. Viele sehen ihn indes als Nachfolger von Peter Praet als EZB-Chefvolkswirt, der Ende Mai 2019 ausscheidet. Als weitere Kompromisskandidaten gelten der Niederländer Klaas Knot (51) und der Finne Oli Rehn (56). Einige haben auch noch Estlands Zentralbankchef Ardo Hansson (60) auf der Rechnung.Inzwischen gilt aber auch nicht mehr als ausgeschlossen, dass Frankreich erneut den Zuschlag erhält – obwohl Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet bereits Franzose war. Zumal wenn Deutschland bei der EU-Kommission zum Zuge kommen sollte, könnte Frankreichs Präsident Emanuel Macron auf die EZB-Spitze schielen. Nachdem sich Lagarde selbst aus dem Rennen genommen hat, gelten noch Notenbankchef Villeroy de Galhau (59) und EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré (49) als aussichtsreiche und geeignete französische Kandidaten.Allerdings scheint auch noch nicht endgültig ausgeschlossen, dass Weidmann noch einmal stärker ins Rennen eingreift: Sollte Weber beim Griff nach der Kommissionsspitze scheitern und ein Nichtdeutscher an die Spitze der Brüsseler Behörde rücken, könnte Deutschland sicher wieder stärkeres Interesse am EZB-Spitzenposten zeigen.