IWF stellt Argentinien-Gläubiger auf Schuldenschnitt ein

Nach Peso-Absturz hält der Währungsfonds die Verbindlichkeiten des Landes für "nicht tragbar" - Verhandlungen über Umschuldung laufen

IWF stellt Argentinien-Gläubiger auf Schuldenschnitt ein

Von Andreas Fink, Buenos AiresArgentiniens Gläubiger werden sich auf erhebliche Verluste einstellen müssen. Am Mittwochabend erklärte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die öffentliche Verschuldung des Landes “nicht tragbar” sei, und forderte “spürbare” Abstriche von den privaten Investoren.Eine Woche lang hat eine hochrangige IWF-Kommission die öffentlichen Bücher in Argentinien geprüft. Es war die erste derartige Mission des IWF unter der neuen Regierung. Die Delegation befand, dass sich die Situation des südamerikanischen Landes gegenüber der vorangegangenen Visite im Juli 2018 deutlich verschlechtert habe. Damals, unter dem liberalen Präsidenten Mauricio Macri, hatte der Fonds Argentiniens Schulden noch für tragbar gehalten.Nun erklärten die IWF-Emissäre, dass es “weder wirtschaftlich noch politisch” möglich sei, einen Primärüberschuss zu realisieren, um die Staatsverschuldung und den Bruttofinanzierungsbedarf auf ein Niveau zu senken, “das mit einem überschaubaren Refinanzierungsrisiko und einem zufriedenstellenden potenziellen Produktionswachstum vereinbar ist”. Die Delegation wurde angeführt von Julie Kozack, der neuen stellvertretenden Direktorin für die westliche Hemisphäre, und Luis Cubeddu, dem ebenso kürzlich eingesetzten Leiter der Mission für Argentinien.Die deutliche Verschlechterung binnen eines halben Jahres sei vor allem die Folge des Absturzes der Währung im August. Zuvor hatte Macri in den Vorwahlen gegen den heutigen Präsidenten Alberto Fernández verloren. Der IWF führte nicht näher aus, welche Form eines Schuldenerlasses von Seiten privater Anleger er für wünschenswert hält – Kapital, Zinsen oder eine Kombination. Trotzdem stellt der Bericht klar, dass längere Zahlungsfristen allein nicht ausreichen werden, damit Argentinien seine Schulden bedienen kann. Der IWF forderte von den privaten Gläubigern eine “definitive Schuldenoperation”, also eine tiefgreifende Umstrukturierung. Abwertungen schlagen durch Laut eigenen Statistiken schuldete Argentinien Ende September 2019 privaten Investoren fast 122 Mrd. Dollar, 39 % aller Verbindlichkeiten. Fast drei Viertel davon sind in Fremdwährung, vor allem in Dollar (siehe Grafik). Bis der Kapitalfluss aus dem Ausland im April 2018 versiegte, hatte die Regierung Macris vor allem in New York Kredite aufgenommen. 2017 konnte Finanzminister Luis Caputo gar eine 100-Jahre-Anleihe auflegen. Nach nunmehr drei Abstürzen der Landeswährung Peso ist Argentinien mit mehr als 91 % seiner Wirtschaftsleistung verschuldet.Über jene 44 Mrd. Dollar, die Argentinien in den letzten zwei Jahren vom IWF geliehen bekam, äußerte sich der Bericht des Fonds nicht konkret. Der ursprüngliche Stand-by-Kreditvertrag sieht das Gros der Rückzahlungen in den Jahren 2022 und 2023 vor. Argentiniens Regierung erklärte der IWF-Delegation, dass sie diese Termine unmöglich wird einhalten können. Vor einigen Tagen hatte Vizepräsidentin Cristina Kirchner vom Währungsfonds gar eine Reduktion der Schulden gefordert. Kirchners Argumentation: Weil der IWF der Regierung Macri viel höhere Kredite zugestanden hatte, als dies die Statuten des IWF vorsahen, habe auch dieser einen Teil des Ausfalls zu tragen.Die neue Direktorin des IWF, Kristalina Georgiewa, antwortete Kirchner voriges Wochenende, dass ein solcher Abschlag in den Statuten des Fonds nicht vorgesehen sei. Dennoch signalisierte die Bulgarin zuletzt prinzipiell einen neuen Blick der Organisation auf die Schuldenprobleme der Schwellenländer. Am Dienstag schrieb sie in einem Gastkommentar in der “Financial Times”, dass der Fonds seine traditionellen und strikten Vorgaben für Schwellenländer überprüfen werde, insbesondere in Bezug auf Kapitalverkehrskontrollen, Devisenmarktinterventionen und Geldpolitik.Argentiniens Präsident Fernández konnte den Bericht der IWF-Emissäre als eine deutliche Unterstützung seiner Position werten. Der gemäßigte Peronist verkündet seit seinem Wahlsieg im Oktober, die Schulden sehr wohl bedienen zu wollen, aber eben erst dann, wenn die abgestürzte Wirtschaft des Landes wieder wachse und die nötigen Steuereinnahmen generieren könne. Diese Position hatte Fernández auch während einer Europareise Anfang Februar den Regierungen in Rom, Paris und Berlin präsentiert und Unterstützung zugesagt bekommen. Nun verabschiedete auch der IWF sich in seiner Erklärung vorerst vom traditionellen Konzept der Haushaltsanpassung – eine solche sei “weder wirtschaftlich noch politisch durchführbar”. Darum sei ein “nennenswerter Beitrag” der privaten Gläubiger zur Lösung der Schuldenkrise erforderlich.Die Verhandlungen mit den privaten Geldgebern, darunter die Investmentfonds BlackRock, Templeton und Fidelity, sollen nach dem Willen der Regierung bis Ende März abgeschlossen sein. Fernández und Finanzminister Martín Guzmán haben die gesamte Wirtschaftspolitik des Landes auf Halten gestellt, das Land hat bislang kein Budget für 2020 verabschiedet. Wie die Regierung das Wachstum anfahren will, darüber schweigt sie sich aus. Offenbar hat Guzmán gegenüber den IWF-Emissären einige seiner Konzepte offenbart – ähnliches werden die privaten Gläubiger von ihm erwarten.Vorige Woche signalisierte Guzmán eine harte Verhandlungslinie. Die Investoren müssten sich auf unerfreuliche Nachrichten einstellen, sagte er in einer aktuellen Fragestunde dem Kongress. Um seine Entschlossenheit zu untermauern, verlegte er die Auszahlungsfrist einer fälligen Peso-Anleihe um mehrere Monate. Lösung mit IWF deutet sich anDie Verhandlungen in New York könnten in den nächsten Wochen einen neuen Impuls aus Washington bekommen, denn viel spricht für eine baldige Übereinkunft zwischen Argentinien und dem IWF über die Rückzahlung jener 44 Mrd. Dollar des Standby-Vertrages von 2018. Marktbeobachter in Buenos Aires glauben, dass Fernández mit dem Aussetzen der automatischen Rentenanpassung und einer angekündigten Anhebung des Renteneintrittsalters zentrale Forderungen des IWF umgesetzt habe und darum bald mit einer Umschuldung rechnen könne. Diese dürfte – anders als der havarierte Kredit von Macri und der Ex-IWF-Chefin Christine Lagarde – langfristig ausgelegt sein. Beim Treffen der G20-Finanzminister in Saudi-Arabien wird Finanzminister Guzmán mit Georgiewa und US-Finanzminister Steven Mnuchin über weitere Schritte verhandeln. US-Präsident Donald Trump hatte Argentiniens Botschafter in Washington kürzlich seine Unterstützung zugesagt.