Geldpolitik

IWF-Vizechefin fordert Umdenken in der Geldpolitik

Beim EZB-Forum in Sintra dreht sich seit Montagabend alles um die Zukunft der Geldpolitik. Dabei geht es nicht nur kurzfristig um weitere Zinserhöhungen, sondern auch längerfristig um Lehren aus dem Inflationsschock. Für IWF-Vize Gita Gopinath ist die Sache klar.

IWF-Vizechefin fordert Umdenken in der Geldpolitik

IWF-Vizechefin fordert Umdenken in der Geldpolitik

Gopinath für mehr Zurückhaltung der Zentralbanken bei leicht unter Ziel liegender Inflation – Mehr Preisschocks in der Zukunft zu erwarten

Beim geldpolitischen Forum der EZB im portugiesischen Sintra treffen sich führende Notenbanker und Ökonomen seit Montagabend, um über die Zukunft der Geldpolitik zu diskutieren. Dabei geht es nicht nur kurzfristig um weitere Zinserhöhungen, sondern auch längerfristig um Lehren aus dem jüngsten Inflationsschock.

ms Frankfurt

Die Zentralbanken weltweit müssen nach Einschätzung von IWF-Vizechefin Gita Gopinath nicht nur jetzt weiter entschlossen gegen die zu hohe Inflation vorgehen, sondern auch für die Zukunft umdenken. Künftig sei aufgrund struktureller Veränderungen häufiger mit größeren und hartnäckigeren Preisschocks zu rechnen und die Zentralbanken müssten ihre Strategien und Instrumente entsprechend anpassen, sagte Gopinath am Montagabend laut Redetext in ihrer Dinnerrede zur Eröffnung des geldpolitischen Forums der EZB in Sintra. Insbesondere plädierte sie für eine weniger aktionistische Geldpolitik bei einer nur leichten Unterschreitung des verbreiteten 2-Prozent-Inflationsziels.

Neben der Frage, wie stark die Zentralbanken im aktuellen Dilemma aus weiter zu hoher Inflation und zunehmenden Rezessionssorgen die Leitzinsen noch anheben sollen, rückt in Notenbankkreisen zunehmend auch die Frage in den Fokus, welche Lehren aus den vergangenen Jahren gezogen werden sollen. Allen voran die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) hatten erst 2020 und 2021 nach umfassenden Überprüfungen ihre Strategien neu ausgerichtet. Dabei ging es aber sehr stark um das Risiko zu niedriger Inflationsraten – wie es vor der Pandemie lange Jahre der Fall war. Diese neuen Strategien gelten manchem Beobachter mit als Grund für die massive Unterschätzung des Inflationsanstiegs in den Jahren 2021 und 2022.

Mit Blick auf die aktuelle Lage ist für IWF-Vize Gopinath die Sache eindeutig. „Es dauert viel zu lange, bis die Inflation wieder das Ziel erreicht“, sagte sie. Das gelte auch für den Euroraum. Die EZB prognostiziert aktuell, dass die Teuerung im Euroraum von zuletzt 6,1% auch 2025 mit im Schnitt 2,2% noch oberhalb der 2% liegen wird. Auch wenn die Gesamtinflation zurückgegangen sei, blieben die hartnäckigeren Komponenten – wie die Dienstleistungen – nach wie vor hoch, so Gopinath. Im Euroraum etwa liegt die Kernrate (ohne Energie und Lebensmittel) mit 5,3% weiter nahe dem vor kurzem erreichten Rekordhoch. Gopinath sieht das als erste von „drei unbequemen Wahrheiten“, die sie in ihrer Rede analysiert.

„Das bedeutet, dass die Zentralbanken, einschließlich der EZB, trotz des Risikos eines schwächeren Wirtschaftswachstums entschlossen bleiben müssen bei der Inflationsbekämpfung“, sagte Gopinath. Ganz ähnlich hatte auch IWF-Kapitalmarktchef Tobias Adrian unlängst im Interview der Börsen-Zeitung dafür geworben, dass die Zentralbanken nicht zu früh nachlassen dürften (vgl. BZ vom 26. Mai). Gopinath äußerte sich dabei auch kritisch zum an den Märkten verbreiteten Optimismus, dass die Inflation bald wieder auf 2% sinke. Seit dem Anstieg der Teuerung vor zwei Jahren gebe es diese Zuversicht – die sich aber immer wieder als Fehler erwiesen habe.

Als zweite unbequeme Wahrheit sieht Gopinath, dass finanzieller Stress zu Spannungen zwischen den Preis- und Finanzstabilitätszielen der Zentralbanken führen könnte. „Eine ,Trennung‘ durch zusätzliche Instrumente ist möglich, aber kein Fait accompli.“ Viele Notenbanker argumentieren immer wieder, dass diese Trennung möglich sei. Laut Gopinath kann die Fiskalpolitik helfen, indem sie den Inflationsdruck senkt. Dies würde niedrigere Leitzinsen ermöglichen und die Finanzstabilität unterstützen.

Ende der Woche hatte auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel an die Politik in Deutschland und Europa appelliert, den Kampf gegen die Inflation nicht durch eine zu expansive Fiskalpolitik zu erschweren (vgl. BZ vom 23. Juni).

Die dritte unbequeme Wahrheit ist
laut Gopinath, dass die Zentralbanken in Zukunft wahrscheinlich mehr Aufwärtsrisiken für die Inflation sehen werden als vor der Pandemie. Dies liege daran, dass strukturelle Veränderungen zu größeren und anhaltenderen Schocks führen könnten und dass die Pandemie gezeigt habe, dass die Phillips-Kurve nicht zuverlässig flach sei. „Dementsprechend müssen die geldpolitischen Strategien und der Einsatz von Instrumenten wie Forward Guidance und quantitative Lockerung verfeinert werden“, sagte sie. Gopinath zielt dabei zum einen auf die Strategie länger niedriger Zinsen („lower for longer“). Das sei möglicherweise besser für tiefe Rezessionen geeignet als für Phasen, in denen die Inflation nur leicht unter dem Zielwert liegt. „Die politischen Entscheidungsträger sollten auch vorsichtiger sein, wenn es darum geht, die Wirtschaft heißlaufen zu lassen, und bereit sein, präventiv zu handeln, wenn dies der Fall ist – auch wenn die Inflation noch nicht so hoch ist“, so Gopinath. Forward Guidance sollte durch Ausweichklauseln abgeschwächt werden, und die Zentralbanken sollten sich mit quantitativer Lockerung (QE) zurückhalten, wenn die Inflation nur geringfügig unter dem Zielwert liegt.

Die politischen Entscheidungsträger sollten vorsichtiger sein, wenn es darum geht, die Wirtschaft heißlaufen zu lassen.

Gita Gopinath
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