Japan im Übergang von der Geld- zur Fiskalpolitik
Der deutsche Ökonom Martin Schulz vom Fujitsu-Forschungsinstitut in Tokio bewertet die Auswirkungen der Abenomics-Politik auf Verschuldung und Rentenfinanzierung in Japan sowie das Phänomen des Helikoptergeldes.- Herr Schulz, Japans Regierung verkündet an diesem Mittwoch die erneute Verschiebung der Mehrwertsteuererhöhung, diesmal von 2017 auf 2019. Wie bewerten Sie das?Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Erstens ist der Steuerschritt eine neue Bremse für das ohnehin schwache Wachstum. Zweitens hat die expansive Geldpolitik die Verschuldungskosten so gesenkt, dass der Staat auf diese Mehreinnahmen nicht angewiesen ist. Wegen der negativen Renditen nimmt er inzwischen sogar Geld ein, wenn er neue Schulden macht. Der Widerstand hält sich daher in Grenzen.- Gleichzeitig erhöht die Regierung ihre Ausgaben über Nachtragshaushalte und Sonderprogramme. Das ist doch gegen jede Vernunft.Wir erleben derzeit einen Übergang von der Geldpolitik zur Fiskalpolitik in Japan. Die Geldpolitik war nicht so wirksam bei Nachfrage und Wachstum wie gedacht. Die Bank of Japan (BoJ) hat staatliche Wertpapiere aufgekauft, die Banken haben diese Liquidität aber bei der Zentralbank gelassen. Daher will man das Wachstum jetzt direkt über höhere Staatsausgaben für Bildung, Infrastruktur und Familien beschleunigen. Da die Geldpolitik weiter expansiv bleibt, läuft dies auf eine direkte Finanzierung der Regierung hinaus. Im Ausland nennt man das wohl Helikoptergeld.- Inwiefern sehen Sie eine direkte Staatsfinanzierung?Der ursprüngliche Plan von Abenomics zielte auf eine monetäre Expansion and eine fiskalische Konsolidierung. Was in Japan jetzt passiert, ist eine direkt fiskalische Konsolidierung über die BoJ. Sie kauft einen sehr großen Teil der Staatsanleihen aus privaten Händen auf. Sobald sie auf ihren Konten liegen und nicht wieder verkauft werden, ist diese staatliche Verschuldung sterilisiert. Die BoJ erhält zwar Zinsen für die Papiere vom Staat, überweist sie aber am Jahresende an das Finanzministerium zurück. Die Kosten der staatlichen Verschuldung bei der BoJ sind also null. Diese Papiere werden wohl für immer in der BoJ-Bilanz bleiben.- Bis 2020 wollte Japan das Primärdefizit im Haushalt auf null reduzieren. Lässt sich dieses Ziel nach der Verschiebung noch erreichen?Der ursprüngliche Plan von Abenomics sah vor, mit einer expansiven Geldpolitik mehr Wachstum zu schaffen und so die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Dieser Plan ist vom Tisch. Nun erreicht man dieses Ziel über die Geldpolitik, indem man den Sockel der staatlichen Verschuldung senkt. Das ist ein Nebeneffekt dieser Geldpolitik, der weder in den Lehrbüchern steht noch so geplant wurde.- Welche Schuldenquote könnte Japan auf diesem Weg erreichen?Wir haben jetzt eine Bruttoquote von 240 % des Bruttoinlandsprodukts. Wenn wir die interne staatliche Verschuldung abziehen, sind es etwa 160 %. Abzüglich der Schulden, die bereits bei der BoJ liegen, kommen wir auf 115 % des BIP. In den nächsten zwei Jahren wird diese Nettoquote durch die anhaltenden BoJ-Wertpapierkäufe auf etwa 100 % sinken. Selbst wenn dann die Inflation anzieht, kann sich Japan neue Schulden leisten. Ab dann müssten allerdings auch die Ausgaben sinken und womöglich die Steuern steigen.- Könnte man die Schulden in der BoJ-Bilanz nicht sogar einfach streichen?Nein, eine solche Bilanzverkürzung ist technisch nicht möglich, weil die BoJ ein Privatunternehmen auf Aktien ist und insolvent würde. Aber in zwei Jahren hat die Zentralbank ungefähr eine Bilanzsumme in der Höhe des BIP. Durch ständige Rollover der Papiere könnte sie dieses Niveau halten. Die Regierung könnte dafür Wertpapiere mit unendlicher Laufzeit und Nullkupon begeben und an die BoJ verkaufen. Dann spielen diese Schulden keine wirtschaftliche Rolle mehr.- Die befürchtete Staatspleite von Japan wird es also nicht geben?Vor fünf Jahren sah niemand einen Weg, wie Japan seine hohen Schulden jemals zurückzahlen könnte. Inzwischen hat sich die Wirtschaft deutlich normalisiert. Japan wächst mit 0,5 % jährlich und hat eine stabile konjunkturelle Entwicklung. Es baut die staatliche Verschuldung im privaten Sektor radikal und sehr schnell ab. Wir finden jetzt also hier einen zügigen Weg zurück zu einer neuen Normalität.- Aber die Inflationsrate ist trotz drei Jahren extremer Geldpolitik wieder negativ.Das gilt nur für die Kernrate ohne frische Lebensmittel. Aber nach Abzug der Energieausgaben haben wir derzeit eine Inflationsrate von 0,6 %. Das ist in einer schwach wachsenden, alternden Gesellschaft keine schlechte Teuerungsrate. Ich halte die Deflation im Wesentlichen für überwunden.- Gibt es gar keine negativen Wirkungen dieses Vorgehens?Die extreme Geldpolitik wirkt natürlich wie eine Vermögenssteuer, weil die Haushalte für ihre Ersparnisse keine Zinsen mehr bekommen. In Japan halten die Haushalte der über 60-Jährigen den größten Teil des Vermögens. Sie wollten von den Zinsen leben. Gleichzeitig muss sich der Staat verschulden, um die steigenden Gesundheits- und Rentenkosten der alternden Bevölkerung zu bezahlen.- Das heißt, diese Haushalte der Alten bezahlen ihre Sozialversicherung quasi selber?So kann Japan seine Rentenversprechen trotz steigender Altenzahl erfüllen. Die Haushalte mit jungen Japanern, die überwiegend keine Vermögen halten, müssen für den Abbau der Staatsverschuldung nicht bezahlen. In Europa finanziert man die Rentenlöcher mit höherer Mehrwertsteuer. Die japanische “Vermögenssteuer” über die Geldpolitik ist dagegen relativ neutral. Der negative Aspekt ist, dass dies nicht wachstumswirksam ist.- Wie lange kann das gutgehen?Vermutlich schon im nächsten Jahr haben die Banken keine liquiden Staatsanleihen mehr, die sie der BoJ verkaufen können. Dann muss die BoJ die Anleihen aus den Beständen der Pensionsfonds und Lebensversicherer erwerben. Diese dürften das erhaltene Geld zum einen in japanische Immobilien, zum anderen in ausländische Wertpapiere stecken. Das Erste verteuert Grund und Boden, das Zweite führt zu Abwertung des Yen und dadurch zu importierter Inflation. Das entwertet zwar die verbliebenen Staatsschulden, drosselt aber Konsum und Nachfrage, weil die Kaufkraft der privaten Ersparnisse schrumpft. Das Wachstum in Japan wird also schwach bleiben.- Das hört sich alles so an, als ob sich Japan am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hat.Was Japan gemacht hat: Es hat Wasser aus dem Sumpf abgelassen. Vorher stand das Wasser bis zur Unterkante Unterlippe. Bald ist der Pegel so niedrig, dass man aus dem Sumpf herausklettern kann. Aber bei diesem Trockenlegen ist es nicht gelungen, um sich herum noch einen neuen Garten zu schaffen.—-Das Interview führte Martin Fritz.