Japan schlittert in Stromknappheit

Kältewelle erwischt Versorger bei Flüssiggas auf falschem Fuß

Japan schlittert in Stromknappheit

mf Tokio – Erstmals seit der Atom- und Tsunami-Katastrophe vor knapp zehn Jahren wird in Japan der Strom wieder dramatisch knapp. Sechs der zehn regionalen Versorger gerieten am Dienstag bis auf wenige Prozentpunkte an die Grenzen ihrer Kapazität.Der Verband der Elektrizitätsunternehmen rief die Verbraucher am Sonntag dazu auf, mit ihrem Strom vor allem zu heizen. Doch viele Arbeitnehmer müssen wegen des neuerlichen Corona-Notstandes von zu Hause arbeiten. Zuvor hatte Tepco Power Grid, der Betreiber des Stromnetzes für die Region Tokio, alle privaten Kraftwerksbetreiber wie JFE Steel, Sumitomo Chemical und den Ölkonzern Eneos aufgefordert, ihren Strom zu verkaufen und in das öffentliche Netz einzuspeisen, damit es zu keinem Blackout kommt.An der Strombörse, der Japan Electric Power Exchange, kletterte der Spotpreis seit der vergangenen Woche täglich auf neue Rekordwerte. Am Dienstag musste man für die Lieferung einer Kilowattstunde am nächsten Tag 154,6 Yen (1,22 Euro) bezahlen, den höchsten Preis seit dem Handelsstart 2005. Der Durchschnittspreis im abgelaufenen Jahr lag bei 6,5 Yen, war also 24-mal niedriger.Die privaten Endverbraucher bezahlen Festpreise und sind nicht direkt betroffen, aber viele der jungen, unabhängigen Stromproduzenten bangen um ihre Existenz. Analysten sprechen von einer komplexen Ursachenmischung, von der Verknappung von Flüssiggas bis zur vermehrten Arbeit im Homeoffice.Als Auslöser für die Stromkrise gilt eine Kältewelle, die die Stromversorger auf dem falschen Fuß erwischte. Sie erzeugen 40 % ihres Stroms mit Flüssiggas (LNG), das sich nicht lange speichern und wegen der weiten Transportwege nicht kurzfristig beschaffen lässt. Doch in Australien und Malaysia hatten die Produzenten technische Probleme, zudem verzögerte die Pandemie Transporte aus den USA. Der asiatische Spotpreis für Flüssiggas sprang auf das Allzeithoch von 28,20 Dollar für 1 Mill. British Thermal Units (BTU), fast viermal mehr als im Dezember. Parallel sind die Mieten für LNG-Tanker um das Siebenfache gegenüber Oktober gestiegen. Noch nie waren Schiffe für die Auslieferung eines Rohstoffes so teuer.Dazu kommen japanische Sonderfaktoren: Die Inselnation hat nach Fukushima auf fossile Brennstoffe gesetzt, weil die Atomkraftwerke entsprechend neuen Sicherheitsvorschriften nachgerüstet werden müssen. Daher müssen einige Versorger nun Öl in alten Kohlekraftwerken verfeuern. Zudem können die regionalen Produzenten durch die Teilung des Landes in zwei Frequenzzonen nur begrenzt Strom austauschen.