IM BLICKFELD

Japans Flirt mit Helikoptergeld

Von Martin Fritz, Tokio Börsen-Zeitung, 28.7.2016 Das Reizwort "Helikoptergeld" hat ausländische Anleger in Japan in den vergangenen Wochen in Aufregung versetzt. Der frühere Fed-Chairman Ben Bernanke hatte Notenbankchef Haruhiko Kuroda und...

Japans Flirt mit Helikoptergeld

Von Martin Fritz, TokioDas Reizwort “Helikoptergeld” hat ausländische Anleger in Japan in den vergangenen Wochen in Aufregung versetzt. Der frühere Fed-Chairman Ben Bernanke hatte Notenbankchef Haruhiko Kuroda und Premierminister Shinzo Abe in Tokio getroffen und angeblich die direkte Finanzierung von Staatsausgaben durch die Notenbank über unbegrenzt laufende Schuldpapiere ins Gespräch gebracht. Zumindest erwarten viele Investoren seitdem eine Koordination von Geld- und Fiskalpolitik für mehr Inflation und Wachstum. Unterm Strich könnte man dies durchaus als abgemilderte Form von Helikoptergeld ansehen, ein Begriff, den Milton Friedman 1969 geprägt hatte, als er die Wirkung des Bargeldabwurfs aus Hubschraubern auf Inflation und Wachstum diskutierte.Bis Freitag berät die Bank of Japan (BoJ) nun erneut, wie sie auf die schwache Wirtschaftsentwicklung reagiert. Fast alle Analysten rechnen mit einer erneuten Lockerung der monetären Rahmenbedingungen. Gleich in der Woche drauf wird Premier Abe die Details seines Konjunkturpakets verkünden. Die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit werden Notenbank und Regierung aber nur schwer erfüllen können. Kuroda stellte bereits klar, dass der BoJ durch Artikel 5 des Notenbankgesetzes der Direktkauf von Staatsanleihen verboten ist. Das gelte auch für Geld- und Fiskalpolitik aus einer Hand, betonte Kuroda. Das war eine klare Absage im Hinblick auf Helikoptergeld im eigentlichen Sinne. Allerdings gibt es ein Schlupfloch in diesem Artikel: Die BoJ darf Schuldpapiere direkt unterschreiben, sofern sie fällig gewordene Anleihen an den Staat zurückgibt.In diesem Jahr sind für dieses “Rollover” 8 Bill. Yen (69 Mrd. Euro) vorgesehen. Nach Ansicht der Credit Suisse könnte man diese Summe problemlos auf 40 Bill. Yen erhöhen. Jedoch bekommt die BoJ beim Rollover bisher nur einjährige Discount-Papiere. Damit Helikoptergeld die erwarteten Impulse gibt, müssten diese Papiere aber eine deutlich längere oder unbegrenzte Laufzeit haben. Lehren aus 1931Man könnte auch das Notenbankgesetz ändern. Bei diesbezüglichen Forderungen wird auf Finanzminister Korekiyo Takahashi verwiesen, der Japan in den Jahren ab 1931 aus der Großen Depression geholt hatte. Damals verließ das Land den Goldstandard, was den Yen in einem Jahr um 60 % abwerten ließ. Dann erhöhte Takahashi die Staatsausgaben um ein Drittel und ließ die Notenbank die notwendigen Schuldpapiere kaufen. Außerdem senkte er den Leitzins um fast die Hälfte auf 3,7 %. Bei geringer Inflation wuchs die Wirtschaft von 1932 bis 1936 im Schnitt um 6,1 %. Ökonomen sind sich aber nicht einig, welcher Faktor nun der ausschlaggebende war. Zudem wollte die Notenbank damals die erworbenen Staatsanleihen nicht dauerhaft behalten. Bis 1935 hatte sie 90 % der Papiere bereits wieder am Kapitalmarkt verkauft und die Liquidität aufgesogen. Takahashi dachte also eher wie John Maynard Keynes als Milton Friedman.Zudem zeigt der historische Rückblick, dass sich extreme Maßnahmen nur rechtfertigen lassen, wenn die Wirtschaftslage auch extrem ist. Davon ist Japan heute indes weit entfernt: Die Wirtschaft wächst moderat, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Die Gefahr der Deflation scheint gering, wenn man die Energiepreise herausrechnet. Daher ließe sich eine Änderung oder Neuinterpretation des heutigen Notenbankgesetzes nur schwer begründen.Schlimmer: Ein solcher Schritt würde signalisieren, dass die Geld- und die Fiskalpolitik mit ihrem Latein am Ende wären. Japan funktioniert jedoch nach dem Prinzip von Honne (Gesagtes) und Tatemae (eigentlich Gemeintes) – das heißt, die wahren Absichten bleiben immer verborgen. Die Währungshüter könnten daher am Freitag den Druck des Finanzmarktes schlicht ignorieren und nur mit eher symbolischen Schritten die Regierung unterstützen. Zumal auch das Konjunkturpaket von Premier Abe von über 28 Bill. Yen (241 Mrd. Euro) Volumen mit Vorsicht zu genießen ist. Darin stecken staatliche Förderkredite und “stimulierte” Privatinvestitionen. Die “echten” Extraausgaben sind mit 6 Bill. Yen über mehrere Jahre eher niedrig.Beim Stichwort Helikoptergeld sollte man ohnehin mehr auf die Staatsschulden schauen. In nur drei Jahren hat die BoJ fast 42 % aller Staatsanleihen aufgekauft. Anfang 2018 wird sie über die Hälfte der Papiere besitzen. “Die Staatsschulden wandern von der privaten in die öffentliche Hand und werden dabei sterilisiert”, erklärt der deutsche Ökonom Martin Schulz vom Fujitsu-Institut in Tokio. Der Staat muss zwar Zinsen auf die Anleihen zahlen, aber am Jahresende überweist die Notenbank die Einnahmen zurück ans Finanzministerium. Zudem kauft die BoJ den Großteil der neu emittierten Anleihen über den Markt auf. Fokus auf StaatsschuldenPassend zum Stil von Honne und Tatemae behält die Notenbank die Papiere bis zur Fälligkeit, ohne diese Tatsache zu betonen. Zugleich ist der staatliche Schuldendienst im Haushalt dank der extremen Niedrigzinsen absolut und prozentual gefallen, während der schwache Yen über die Firmengewinne dem Staat mehr Steuern bescherte. Daher wird “nur” noch etwas mehr als ein Drittel des Staatshaushalts über neue Schulden finanziert. All dies rechtfertigt durchaus die These, dass der Helikopter schon längst über Japan fliegt.