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Japans große Energiewende lässt auf sich warten

Von Martin Fritz, Tokio Börsen-Zeitung, 10.3.2016 Fünf Jahre nach der AKW-Katastrophe von Fukushima liegt Japans künftiger Energiemix im Unklaren. Auf dem Papier wurde die Energiepolitik bis 2030 zwar neu ausgerichtet. Demnach wird der Anteil...

Japans große Energiewende lässt auf sich warten

Von Martin Fritz, TokioFünf Jahre nach der AKW-Katastrophe von Fukushima liegt Japans künftiger Energiemix im Unklaren. Auf dem Papier wurde die Energiepolitik bis 2030 zwar neu ausgerichtet. Demnach wird der Anteil erneuerbarer Energien mehr als verdoppelt und die Atomkraft wieder kräftig hochgefahren. Aber die Zweifel an der Umsetzung sind groß. Wegen der Liberalisierung des Strommarktes wird das bisherige Oligopol aus 10 Versorgern durch neue Produzenten und die geplante Trennung von Stromerzeugung und Stromnetz stark geschwächt. Der Einbau von Millionen digitalen Stromzählern ermöglicht den Endkunden bald einen schnellen Anbieterwechsel. Die Auswirkungen auf den Energiemix sind schwer vorherzusagen und vom Staat kaum zu steuern.Bereits ab dem 1. April werden sich Privatkunden und kleine Firmen ihren Stromversorger frei wählen können. Sie stehen für Einnahmen von 7,5 Bill. Yen (60 Mrd. Euro) bzw. 40 % des Strommarkts. Von den 130 bisher neu zugelassenen Anbietern dürften Mobilfunk-Provider wie JCOM und Softbank schnell Marktanteile erobern. Sie können die Verbrauchsdaten der Kunden über eigene Netze übertragen und daher leicht Rabatt-Pakete aus Telefon, Internet und Strom schnüren. “Das Segment der Dienstleistungen gewinnt in der Energiewirtschaft immer mehr an Bedeutung, gerade was intelligente Netze und Bedarfsplanung angeht”, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan (AHK), Marcus Schürmann. Viele Neueinsteiger haben eigene Kapazitäten für erneuerbare Energien aufgebaut. In diesem Bereich gibt es wegen der für 20 Jahre garantierten hohen Einspeisetarife Ertragssicherheit. Zugleich wollen sie mit dem Angebot von “grünem” Strom punkten – die Mehrheit der Japaner lehnt seit Fukushima Strom aus Atomkraft ab.Bisher gab es nur eine kleine Energiewende hin zu erneuerbaren Quellen. Ihr Anteil an der Stromproduktion ist von 2012 bis Ende 2014 nur um 2,7 Punkte auf 12,7 % gestiegen. Davon gehen erst ein Viertel auf das Konto von Sonne, Wind, Biomasse und Erdwärme. Auch das Ziel von 22 % bis 24 % Grünstrom-Anteil für 2030 ist eher bescheiden. Ein Grund ist der Einfluss des nuklear-industriellen Komplexes – in Japan “Atomdorf” genannt – aus Ministerialbeamten, Managern und Forschern. Eine andere Ursache ist die politische Sorge vor einem starken Anstieg der Strompreise. Die Entwicklung in Deutschland dient Japan als Warnung. Daher wurde der Einspeisetarif für Solarstrom von 42 Yen im Juli 2012 zum 1. April auf 24 Yen (0,19 Euro) je Kilowattstunde gesenkt.Zugleich reagierte der Staat damit auf eine ungesunde Entwicklung: Von den 85,6 Gigawatt (GW) bis September 2015 genehmigter Ökostrom-Kapazität stammen 93 % von Solarkraftwerken. Von diesen 79,8 GW wurden bisher erst 29 % in Betrieb genommen. Dennoch verweigerten fünf Versorger zeitweise neue Einspeisungen, weil der schwankende Solarstrom ihre Netze überlasten würde. Tatsächlich rechnen die Analysten von Bloomberg New Energy mit einer Installation von 14,3 GW Solarkapazität 2016. Das entspricht einem Drittel der gesamten deutschen Solarkapazität. 2015 wurden in Japan rund 10 GW installiert.Das Wirtschaftsministerium will den Installationsstau ab Frühjahr 2017 durch Auktionen der genehmigten Vorhaben auflösen. Zudem werden im April Steuererleichterungen für die Solarkraftwerke gestrichen. “Es zeichnet sich ab, dass sich der Fokus von Solarstrom auf andere Erzeugungsarten verschieben wird”, meint AHK-Energieexperte Schürmann. Neben vielen kleinen Biomasse-Anlagen gilt das vor allem für die Windkraft. Ihre Kapazität soll bis 2020 um mehr als das Dreifache auf 10 GW steigen, so viel wie 10 Atommeiler. Allein die zwei größten Produzenten Eurus Energy und J-Power wollen je 60 Mrd. Yen (480 Mill. Euro) investieren. Der Anteil von Windstrom in Japan betrug 2014 erst 0,5 % (Deutschland: 9,6 %), weil die Genehmigungen vier bis fünf Jahre dauern.Unterdessen ist die von der Regierung erhoffte Renaissance der Atomkraft nicht in Sicht. Seit Sommer 2015 wurden nur drei der 43 abgeschalteten Atommeiler hochgefahren. Erst für die Hälfte davon haben die Betreiber überhaupt eine neue Betriebserlaubnis beantragt. Hunderte Rechtsanwälte der AKW-Gegner versuchen jeden Neustart gerichtlich zu stoppen. Noch brauchen die Versorger ihre Atommeiler als Vermögenswerte für Kredite, aber hohe Nachrüstungskosten von Sicherheitstechnik verteuern ihren Atomstrom. Ein Kohlekraftwerk lässt sich viel schneller bauen und amortisieren als ein neuer Atommeiler.Hier zeigt sich der nächste Widerspruch in Japans Energiepolitik: Beim G 7-Gipfel in Deutschland hatte Japan den Ausstieg aus der Kohle bis 2050 versprochen. Danach wollte das Umweltministerium Anträge für fünf neue Kohlekraftwerke nicht genehmigen. Inzwischen will man sich aber mit freiwilligen Emissionsverringerungen der Betreiber begnügen. Ein Ausstieg Japans aus der Kohle ist damit unwahrscheinlicher geworden.