Japans Rückkehr zu Atomkraftwerken ist Lektion für Deutschland
Als erster Regierungschef Japans seit der Atomkatastrophe von Fukuhisma hat Fumio Kishida den Neubau von Atommeilern angekündigt und auf den Neustart betriebsbereiter Reaktoren gedrungen. Seine Kurskorrektur begründete er mit der „grünen Transformation“ der Wirtschaft und den hohen Energiekosten durch den Ukraine-Krieg. Mit seinem Vorstoß erteilt Kishida der Berliner Ampel-Koalition eine Lektion in pragmatischer Energiepolitik ohne ideologische Scheuklappen.
Japan hätte allen Grund, auf Atomenergie völlig zu verzichten. Im März 2011 entging der weltgrößte Ballungsraum Tokio nach den AKW-Explosionen in Fukushima nur mit viel Glück einer Verstrahlung, weil der Wind die meisten radioaktiven Partikel aufs Meer blies und die Brennstäbe in den Abklingbecken von Fukushima-Reaktor 4 nicht in Brand gerieten. Dennoch stieg Japan nicht aus der Atomkraft aus – es wäre ökonomisch töricht gewesen, die verbliebenen 50 Reaktoren für immer abzuschalten. Stattdessen legten die Stromversorger 17 Anlagen still und rüsteten 33 Reaktoren sicherheitstechnisch auf.
Japans Rückkehr zur Atomkraft wurde zwingend notwendig, weil die Wirtschaft ab 2050 kohlenstoffneutral laufen soll. Zu sehr hängt Japan von Gas und Kohle ab, als dass es ganz ohne Kernspaltung ginge, meint die einflussreiche Ministerialbürokratie. Aber bisher blockieren lokale und regionale Politiker in vielen Fällen den Neustart von nachgerüsteten Reaktoren mit neuer Betriebserlaubnis, weil die Anwohner dem Betreiber misstrauen und um ihre Sicherheit fürchten. Nun haben der Klimawandel und die Brennstoffpreise einen Stimmungswechsel verursacht. In Umfragen spricht sich erstmals seit 2011 eine Mehrheit für die weitere Nutzung der Atomkraft aus – so wie auch Deutsche positiver über Atomkraft denken. Als Realpolitiker nutzt Kishida den Umschwung der Volksmeinung, während Olaf Scholz und Robert Habeck davor die Augen verschließen.
Das deutsche Ziel einer „grünen“ Stromversorgung hielten die meisten Japaner schon immer für eine Utopie – seit der Ölkrise von 1973 strebt die Inselnation eine breit diversifizierte Energieversorgung an, da man sämtliche fossilen Brennstoffe importiert. Der deutsche Atomausstieg 2011 ohne jede Not löste daher in Japan eher Befremden und Erstaunen aus, ebenso wie nun das Festhalten am Abschalten der letzten Meiler. Aus Verantwortung für die Zukunft der Nation würde keine japanische Regierung solche wirtschaftlichen Experimente wagen.