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Joseph Stiglitz 75

det - Er hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, und selbst mit 75 übt Joseph Stiglitz, einer der einflussreichsten Ökonomen der letzten vier Jahrzehnte, weiterhin unverblümte Kritik an Präsidenten und multinationalen Institutionen. Der Sohn...

Joseph Stiglitz 75

det – Er hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, und selbst mit 75 übt Joseph Stiglitz, einer der einflussreichsten Ökonomen der letzten vier Jahrzehnte, weiterhin unverblümte Kritik an Präsidenten und multinationalen Institutionen. Der Sohn eines Versicherungsvertreters aus Indiana studierte an der University of Chicago und promovierte später am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Professuren hatte Stiglitz an den Eliteuniversitäten Yale, Stanford und Princeton. Aktuell hat er einen Lehrstuhl an der Columbia-Universität in New York.Seit Beginn seiner Karriere hat der hoch dekorierte Neokeynesianer mit Theorien über die Notwendigkeit staatlicher Intervention und die Risiken freier Märkte, die keiner ausreichenden Aufsicht unterliegen, Wellen geschlagen. Auch in der Politik und bei internationalen Institutionen machte der Querdenker Wirbel. Seit 1993 saß er in Präsident Bill Clintons Beraterstab Council of Economic Advisors (CEA) und übernahm als Chefvolkswirt 1995 dessen Leitung. Seinem Chef legte Stiglitz nahe, die US-Wirtschaftspolitik an einem “dritten Weg” auszurichten, der begrenzte staatliche Eingriffe in freie Märkte befürwortet und gleichzeitig einräumt, dass Regierungen nicht immer imstande sind, deren Versagen zu korrigieren. Gleich danach wechselte der Akademiker als Chefökonom zur Weltbank. Scharfer KritikerSeine scharfe Kritik an den stringenten Programmen, die der Internationale Währungsfonds (IWF) den aufstrebenden europäischen Schwellenländern in die Feder diktierte, führte zu einem Zerwürfnis mit US-Finanzminister Larry Summers, der den Rücktritt des Nationalökonomen erzwungen haben soll. Von dem Zoff mit Summers unbeirrt setzte Stiglitz nach und behauptete, der IWF verfolge heimlichtuerisch, undemokratisch und in Absprache mit der Treasury eine Politik, die seinen Mitgliedsländern mehr schade, als ihnen zu helfen.2001 erhielt der Nationalökonom den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, zudem besitzt er nicht weniger als 40 Ehrendoktortitel vieler der weltbesten Universitäten. Stiglitz gründete das Forschungsinstitut “Initiative for Policy Dialogue”. Er beriet in den letzten Jahren diverse Regierungen und leitete internationale Gremien in Fragen der Wirtschaftspolitik, sozialer Gerechtigkeit und des Klimawandels.Die Kritik an Konventionen und Institutionen ebbte indes niemals ab. Während der Finanzkrise warf er etwa den Ratingagenturen vor, “Komplizen” der Großbanken gewesen zu sein, welche das Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds getrieben hatten.Die Kosten des Zusammenhalts der Eurozone sind laut Stiglitz, der seinerzeit Großbritannien zum Brexit riet, höher als deren Auflösung. Problematisch findet er auch multilaterale Handelsverträge wie TTIP und TPP. Zudem ist der Nobelpreisträger überzeugt, dass Clinton seinerzeit das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta niemals unterschrieben hätte, wenn er gewusst hätte, wie viele Passagen Industrielobbyisten im eigenen Interesse hatten einbauen lassen. Kein gutes Haar lässt Stiglitz auch an US-Präsident Donald Trump. Dieser habe die Weltordnung erschüttert und dazu geführt, dass die USA vom Rest der Welt nicht mehr als verlässlicher wirtschaftlicher und Handelspartner wahrgenommen werden.