Kampf um den Euro und gegen das Deflationsgespenst
“Halbzeit” für Mario Draghi: Am Sonntag ist er vier Jahre lang EZB-Präsident – acht Jahre sollen es werden. Wie war die erste Hälfte, und wo stehen Draghi und die EZB heute? Und wie bewerten Experten sein Wirken?Von Mark Schrörs, FrankfurtEs sind gerade einmal 23 Wörter, mit denen Mario Draghi am 26. Juli 2012 die Finanz- und Wirtschaftswelt veränderte – auf jeden Fall jene in der Eurozone, aber letztlich auch darüber hinaus. “Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro”, sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) da in einer Rede in London und fügte hinzu: “And believe me, it will be enough.” Übersetzt: “Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird reichen.” Auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise, als Investoren auf ein Auseinanderbrechen der Währungsunion wetteten, beruhigte Draghi mit seinen Worten die Situation.Der 26. Juli 2012 stellt insofern sicher den Höhepunkt in der bisherigen Amtszeit von Draghi dar, die an diesem Sonntag vier Jahre währt – und die damit “Halbzeit” feiert. Denn der EZB-Präsident wird für acht Jahre ernannt, eine Wiederernennung ist nicht zulässig.Dass der Italiener am 1. November 2011 an die Spitze der EZB rücken konnte, lag nicht zuletzt daran, dass Bundesbankpräsident Axel Weber, den Bundeskanzlerin Angela Merkel für den EZB-Spitzenjob ausgeguckt hatte, sein Amt aufgegeben hatte – im Streit über den Euro-Rettungskurs der EZB unter Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet. So war der Weg für Draghi, den ehemaligen Exekutivdirektor der Weltbank und Ex-Goldman-Sachs-Banker, frei.Die ersten vier Jahre standen ganz im Zeichen der Krisen: der Weltfinanzkrise, der Euro-Schuldenkrise. Schon bei der allerersten Zinssitzung unter Draghis Ägide überraschte die EZB mit einer Zinssenkung. Turbulent, teils dramatisch ging es auch weiter – und die EZB stieß, getrieben von Draghi, immer weiter in “unbekanntes Terrain” vor: mit Null- und teils sogar Minuszinsen sowie dem Tabubruch breit angelegter Staatsanleihekäufe im Zuge der Politik des Quantitative Easing (QE).Nach vier Jahren scheiden sich an Draghi die Geister: Für die einen ist der 68-Jährige der “Super-Mario”, der die Eurozone mit seiner London-Rede – und dem Staatsanleihekaufprogramm OMT (Outright Monetary Transactions) – im Alleingang vor dem Kollaps gerettet hat, sie aktuell mit der ultralockeren Geldpolitik vor dem “Deflationsgespenst” beschützt – und die EZB modernisiert. Vor allem in der angelsächsischen Finanzwelt und der Euro-Peripherie dominiert dieses Bild. Für die anderen ist Draghi derjenige, der die Grenzen des EZB-Mandats maßlos überschreitet, mit seinen geldpolitischen Experimenten die Saat für die nächste Finanzkrise legt – und die EZB, einst in der Tradition der Bundesbank, zu einer Kopie der US-Notenbank, zur Fed 2.0, macht. Diese Haltung ist vor allem in Deutschland weit verbreitet.Draghi hat aus seiner Sicht Anläufe für ein besseres Verhältnis zu den Deutschen unternommen – ohne Erfolg. Im “Spiegel” klagte er einmal: “Jedes Mal hieß es, um Gottes willen, dieser Italiener zerstört Deutschland.” Er attestierte den Deutschen gar eine “perverse Angst, dass sich die Dinge zum Schlechten entwickeln”. Später ruderte er etwas zurück, aber richtig warm werden Draghi und die Deutschen nicht mehr.Immer wieder für Aufsehen sorgt seine Dauerfehde mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Dieser kritisiert Draghis Kurs bei der Euro-Rettung, weil er eine Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik befürchtet, und bremst auch in Sachen Geldpolitik immer mal wieder. Draghi dagegen kritisiert seinerseits – nicht zuletzt mit Blick auf Weidmann -, ein “Nein zu allem” sei keine Strategie.Kritik keimt auch immer mal wieder an Draghis Führungsstil auf. Anders als Trichet, dem nachgesagt wird, stets bemüht gewesen zu sein, alle im EZB-Rat mitzunehmen, gilt Draghi als jemand, der wichtige Entscheidungen allenfalls mit seinem “Küchenkabinett” – zu dem Chefvolkswirt Peter Praet und Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré gehören – einfädelt und sich auch über internen Widerstand hinwegsetzt, wenn er von einer Sache überzeugt ist.Im Augenblick ist Draghi vor allem überzeugt, dass es die EZB nicht hinnehmen kann, ihr Inflationsziel noch viel länger zu unterschreiten – auch wenn dahinter Gründe wie der Ölpreisschock stecken, auf den die EZB keinen Einfluss hat. Er sorgt sich um die Glaubwürdigkeit der EZB.Überzeugt ist Draghi, ein ausgesprochener Europäer, zudem, dass die Währungsunion auf ein stärkeres Fundament gestellt werden muss. Er wird nicht müde, einen “Quantensprung” zu fordern – mit mehr Kompetenzen auf EU-Ebene und etwa einem Euro-Finanzminister. Als EZB-Präsident bleiben ihm im Ringen um diese Fortschritte noch vier Jahre.