Kapitalmarktunion kann Wachstum in Europa fördern

Erleichterter Zugang zu den Kapitalmärkten - Banken bleiben Rückgrat der Mittelstandsfinanzierung

Kapitalmarktunion kann Wachstum in Europa fördern

Für viele Banken in Deutschland und Europa war 2014 ein besonderes Jahr. Die umfassende Prüfung im Rahmen des Comprehensive Assessment mit Bilanzprüfung und Stresstest hat bei den beteiligten Instituten viele Ressourcen gebunden und auch einiges an Kraft gekostet. Aber: Es hat sich gelohnt. Speziell die deutschen Institute haben die Prüfung mit gutem Erfolg abgeschlossen. Wie vorgesehen konnte die Europäische Zentralbank (EZB) am 4. November die direkte Aufsicht über die wichtigsten 120 Institute in der Eurozone übernehmen. Die erste Stufe der Bankenunion ist damit genommen. Es bleibt zwar noch viel zu tun, aber eines ist sicher: Die Bankenunion ist einer der wichtigsten stabilitätspolitischen Beiträge der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Augenmaß bewahrenJetzt gilt es, die Details der gemeinsamen Aufsicht auszugestalten und dabei Augenmaß zu bewahren. Letzteres ist insbesondere im Hinblick auf die weniger bedeutenden Banken relevant, die indirekt auch von der EZB beaufsichtigt werden. Auch sie müssen der Aufsicht bereits jetzt zahlreiche Daten und Finanzkennziffern melden, vielfach mehr, als sie in ihren EDV-Systemen verfügbar haben. Dies kostet Kapazitäten, die besser an anderer Stelle eingesetzt wären, zum Beispiel in der Kreditgewährung an die mittelständische Wirtschaft.Die Europäische Kommission hat mit dem am 18. Februar 2015 vorgelegten Grünbuch zur “Kapitalmarktunion” eine wichtige Debatte zur Finanzierung der Wirtschaft angestoßen. Das zentrale Thema dabei ist, wie die EU dazu beitragen kann, Hindernisse abzubauen, die den Marktzugang vor allem mittelständischer Unternehmen erschweren. Hierzu sieht das Grünbuch einige kurzfristige Maßnahmen vor wie eine verbesserte Information der Anleger über die Bonität von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Dazu soll unter anderem die EU-Prospektrichtlinie überarbeitet werden. Ein Rechtsrahmen für hochwertige Verbriefungen soll geschaffen und damit zugleich der Markt neu belebt werden.Mittel- bis langfristig ist eine Integration der Kapitalmärkte geplant mit einem besseren Zugang zu Finanzmitteln, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Es sollen neue Impulse durch die Standardisierungen zum Beispiel bei gedeckten Schuldverschreibungen und der Entwicklung alternativer Finanzierungsformen wie Crowdfunding gesetzt werden. Der grenzüberschreitende Wettbewerb bei Finanzdienstleistungen soll gefördert werden. Daneben sollen mehr europaweit einheitliche Regelwerke, eine bessere Aufsichtskonvergenz und die weitere Harmonisierung der Marktinfrastruktur, des Wertpapierrechts sowie des Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrechts die Funktionsweise der Märkte verbessern. Widerstandsfähiger werdenZiel der Kapitalmarktunion muss es sein, den europäischen Kapitalmarkt effizienter, wettbewerbsfähiger und vielfältiger zu machen und damit gleichzeitig auch widerstandsfähiger gegen mögliche Schocks. Ein breiterer, tieferer und effizienterer Kapitalmarkt wäre dann eine gute Basis, um eine dynamische und innovative Wirtschaft in der EU zu finanzieren. Allerdings kann die Kapitalmarktunion kein Instrument sein, um die in den südeuropäischen Staaten beklagte rückläufige Kreditvergabe des Bankensektors auszugleichen und so dem Wirtschaftswachstum neue Dynamik zu verleihen. Vertrauen wiederherstellenInwieweit die Vorteile eines integrierten Kapitalmarktes genutzt werden können, hängt entscheidend von einer wachstumsfreundlichen Wirtschaftspolitik ab. Eine Kapitalmarktunion kann deshalb kein Ersatz für unterbliebene Strukturreformen in den einzelnen Mitgliedstaaten sein. Zudem muss das Vertrauen der Investoren in die Stabilität der Finanzmärkte und in eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik, das in der Staatsschuldenkrise verloren gegangen ist, wiederhergestellt werden.Für kleine und mittlere Unternehmen wird allerdings auch in Zukunft der Bankkredit das wichtigste Finanzierungsinstrument bleiben. Auch wenn sich sowohl die Struktur der Unternehmen und ihr Finanzierungsbedarf als auch die Finanzbranchen und damit schließlich die Formen der Unternehmensfinanzierung in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union voneinander unterscheiden: Überwiegend gilt, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen ihre Finanzierung traditionell stark auf Bankkredite abstellen. Sowohl in Deutschland als auch in Europa nutzen noch immer etwa 70% der kleinen und mittleren Unternehmen die Intermediationsfunktion der Banken. Eher für GrößereAuch wenn zu erwarten ist, dass sich die Zahl der kapitalmarktfähigen Unternehmen sukzessive erhöhen wird, werden die Finanzierungsformen des Kapitalmarktes schon aus Kostengründen eher für größere Unternehmen eine Rolle spielen. Die Kapitalmarktunion ist daher vor allem für international tätige Kapitalmarktteilnehmer von Vorteil. Kleine und mittlere Unternehmen ziehen daraus zunächst keinen unmittelbaren Nutzen. Dennoch ist es richtig, neben dem Bankkredit weitere Finanzierungsinstrumente für KMU zu entwickeln, entscheidendes Rückgrat der Mittelstandsfinanzierung bleibt aber ein leistungsstarkes Bankensystem.Ein ertragreiches, wettbewerbsfähiges Bankgeschäft ist eine essenzielle Voraussetzung für eine offene und leistungsstarke Volkswirtschaft wie die deutsche. In Deutschland wird ein profitables Bankgeschäft aber immer schwieriger. Vier wesentliche Herausforderungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen.- Zum einen die in der Summe hohen Belastungen durch die Vielzahl an Regulierungsmaßnahmen. Eine von KPMG im Jahr 2013 durchgeführte Studie beziffert den jährlichen Aufwand für neue Regulierung auf bis zu 9 Mrd. Euro für die gesamte deutsche Kreditwirtschaft. Auch wenn Regulierungsänderungen der letzten Jahre überwiegend in die richtige Richtung gehen, stellen der deutlich höhere Kapitalbedarf, der gestiegene Refinanzierungsaufwand und nicht zuletzt die mit der Regulierung verbundenen höheren Verwaltungskosten die Banken vor große Herausforderungen. Zudem ist infolge der insgesamt höheren Kosten zu beobachten, dass bislang klassisches Bankgeschäft in den weniger regulierten Sektor wandert. Eine Angleichung der Regelungen für den unregulierten Sektor an die Regelungen für Kreditinstitute sollte daher schnellstmöglich erfolgen.- Zum anderen belasten ungleiche Wettbewerbsbedingungen mit anderen Wirtschaftsräumen, weil auf der nationalen, bundesdeutschen Ebene Alleingänge unternommen werden. Das Ergebnis dieser Alleingänge: Im besten Falle werden europäische Regelungen nur um einige Monate vorweggenommen. Im schlechteren Falle aber werden später europäische Regeln beschlossen, die den deutschen Bestimmungen in Teilen entgegenlaufen bzw. viel Überarbeitungsbedarf nach sich ziehen – zu beobachten gegenwärtig beim Anlegerschutz und in nächster Zukunft beim Thema Trennbanken. Da jede Regulierung EDV-technisch umgesetzt werden muss, bedeuten solche Alleingänge immer auch wieder höhere Kosten für die deutschen Institute. Nicht zu unterschätzen ist die damit zudem verbundene Gefahr, dass das Geschäft abwandert und der Finanzplatz Deutschland insgesamt verliert. Ebenso sollten Sonderlasten für deutsche Institute vermieden werden. Ein aktuelles Beispiel: die Abgabe für den europäischen Bankenabwicklungsfonds. Die Abgabe ist richtig, die privaten Banken unterstützen sie. Es ist aber falsch, dass den deutschen Banken die Möglichkeit vorenthalten werden soll, diese Abgabe als Kostenfaktor steuerlich geltend zu machen, während andere Mitgliedstaaten ihren Banken diese Möglichkeit einräumen oder andere Vergünstigungen zusprechen. Eine einheitliche europäische Handhabung sollte auch in diesem Punkt selbstverständlich sein und von der Politik unterstützt werden.- Die dritte Herausforderung, das Niedrigzinsniveau, sorgt dafür, dass die Banken auch auf der Ertragsseite keine Entlastung erfahren. Die Niedrigzinsen stellen nicht nur eine Belastung für die Sparer bzw. Anleger dar, sondern auch für die Banken. Im Ergebnis führt das Niedrigzinsumfeld zu einem Rückgang des Zinsüberschusses. Aufgrund der hohen Bedeutung der Zinseinnahmen sind die deutschen Kreditinstitute hiervon besonders betroffen.- Die Digitalisierung ist die vierte und wichtigste Herausforderung, der sich die Banken zu stellen haben. Neue Wettbewerber stellen die Dienstleistungen und Produkte der Banken auf den digitalen Prüfstand und suchen innovative Wege für das Bezahlen, die Kreditvergabe, die Kontoverwaltung, die Vermögensplanung und viele andere klassische Bankprodukte. Viele der neuen Dienstleistungen erhöhen die Servicequalität für den Kunden und tragen dazu bei, den Zugang zu Bankprodukten zu verbessern. Die Banken gestalten diese “elektronische Industrialisierung” aktiv mit. Sie passen ihre Geschäftsmodelle und Prozesse fortlaufend an technische Innovationen an. So waren deutsche Institute weltweit mit führend, ihren Kunden digitale Zugangswege wie das Online-Banking anzubieten. Inzwischen erledigen mit 54 % mehr als die Hälfte der erwachsenen Deutschen, rund 34 Millionen Menschen, ihre Bankgeschäfte zumindest teilweise online. Online-Banking ist heutzutage nicht nur sicher und komfortabel, es ist für viele eine Selbstverständlichkeit, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Diese Entwicklung wird mit hoher Geschwindigkeit weitergehen. Banken betrachten die Fintech-Unternehmen dabei als Mitstreiter, die Innovationen im Markt vorantreiben, die andererseits aber auch das Tempo vorgeben. Diese Unternehmen werden sich vor allem darum bemühen, in bestimmten Nischen Services anzubieten, die ihnen den Zugang zu weiteren Kundendaten ermöglichen. Einen Generalangriff auf das stark regulierte und im Vergleich margenarme Bankgeschäft ist eher nicht zu befürchten. Dennoch – auch hier sind die Banken stark gefordert, haben zu investieren und um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen.—Silke Wolf, Geschäftsführerin des Bayerischen Bankenverbandes