Karlspreis für einen "Instinkteuropäer"
Von Detlef Fechtner, zzt. AachenSo viel politische Prominenz ist sogar bei der Karlspreis-Vergabe selten: Wenn alljährlich an Christi Himmelfahrt die höchste Auszeichnung für den Einsatz für die europäische Sache verliehen wird, dann sind zwar regelmäßig die üblichen Berufseuropäer wie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratschef Donald Tusk vor Ort. Aber dass sich zudem auch noch jede Menge Staatschefs einfinden, ist ungewöhnlich. Bundespräsident Joachim Gauck, Frankreichs Präsident François Hollande, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und sogar König Abdullah II. von Jordanien ließen es sich nicht entgehen, Preisträger Martin Schulz persönlich zu gratulieren. Das mag einerseits daran liegen, dass selbst dessen politische Gegner wohl nicht behaupten würden, dass er den Preis nicht verdient habe. Schulz, in unmittelbarer Nähe zu zwei Nachbarländern aufgewachsen, bezeichnet sich selbst als “Instinkteuropäer”, weil er die Vorzüge eines grenzenlosen Europas unmittelbar erlebt hat und deshalb ein Verfechter der Integration ist. Die hohe Promi-Dichte mag aber auch damit zu tun haben, dass der Preisträger ein ausgesprochen umtriebiger Netzwerker ist. Kaum einer, der in Europa etwas zu sagen hat, der noch nie mit dem 59 Jahre alten Sozialdemokraten in Berührung gekommen oder aneinandergeraten ist. Legendär etwa der Schlagabtausch mit dem damaligen italienischen Premier Silvio Berlusconi, der sich so über Schulz aufregte, dass er ihm empfahl, sich für die Rolle des “Kapo” in einem Kriegsfilm zu bewerben.Dabei liegt das Ausnahmetalent von Schulz gerade nicht in der Konfrontation, sondern der Kooperation. Er war es, der durch sein Verhandlungsgeschick im EU-Parlament eine breite Mehrheit für die Dienstleistungs-Richtlinie organisierte und auf diese Weise dem Ministerrat entscheidende Korrekturen abtrotzte. Er war es zudem, der als Erfinder des “Spitzenkandidaten” dafür gesorgt hat, dass Europas Bürger erstmals entscheiden durften, wer die EU-Kommission führt – Ironie des Schicksals, dass sich das Wahlvolk nicht für ihn, sondern seinen Kontrahenten Juncker entschied.Der EU ein Gesicht geben, sie verständlicher und leistungsfähiger machen – so beschrieb Schulz gestern die Aufgaben, die er sich gestellt hat. Zugleich brach er – wohl auch mit Blick auf das britische Referendum – eine Lanze für den gemeinsamen Markt: “Wirtschaftskraft entsteht durch Binnenmarkt – und nur durch diese Stärke kann Europa seine Werte verteidigen.”Selten übrigens auch, dass ein Karlspreisträger von den Aachener Bürgern so frenetisch gefeiert wird wie Schulz. Das freilich ist nicht überraschend. Schließlich ist Schulz in Eschweiler geboren und war in Würselen Bürgermeister. Beide Städtchen liegen handgestoppte zehn Minuten entfernt von Aachen. Insofern ist die Verleihung des Karlspreises an Martin Schulz ein wenig so, als wenn der Friedensnobelpreis an einen Norweger geht.