EU-Wiederaufbaufonds

Karlsruhe macht den Weg frei

Der Corona-Wiederaufbaufonds der EU kann vorerst wie geplant weiter umgesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht wies Eilanträge gegen die Finanzierung des Fonds ab, der nach Einschätzung der Kritiker den Weg in eine Schuldenunion ebnet.

Karlsruhe macht den Weg frei

ahe/ms Brüssel/Frankfurt

Das Bundesverfassungsgericht wird den 750 Mrd. Euro starken EU-Wiederaufbaufonds und die dafür nötige gemeinsame europäische Schuldenaufnahme nicht weiter blockieren. Die Karlsruher Richter wiesen einen Eilantrag einer Bürgerinitiative um den AfD-Gründer Bernd Lucke ab und verwiesen darauf, dass sie keine hohe Wahrscheinlichkeit sähen, dass der Aufbaufonds die haushaltspolitische Autonomie des Bundestages verletzen könne. Höhe, Dauer und Zweck der von Brüssel aufzunehmenden Mittel seien begrenzt, so das Gericht. Das Gleiche gelte für eine mögliche Haftung Deutschlands.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kann damit jetzt das entsprechende Gesetz unterzeichnen, mit dem der sogenannte EU-Eigenmittelbeschluss ratifiziert wird. Dieses war Ende März bereits vom Deutschen Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit und anschließend auch vom Bundesrat angenommen worden. Über die Anhebung des Eigenmittelbeschlusses werden der auf EU-Ebene beschlossene Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 sowie die Finanzierung des daran angehängten Wiederaufbaufonds gebilligt. Alle 27 EU-Staaten müssen dem zustimmen.

Wann das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache entscheiden will, ist noch nicht klar. Allerdings seien auch in dem Hauptsacheverfahren keine Überraschungen mehr zu erwarten, erklärte der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Florian Hahn.

Das Gericht habe den Aufbaufonds schon „faktisch durchgewunken“, so Commerzbank-Analyst Jörg Krämer. Die Verfassungsrichter dürften die von vielen Politikern gewollte Entwicklung der EU hin zu einer „Transferunion“ nicht aufhalten. Italienische Staatsanleihen profitierten bereits wie erwartet von der Karlsruher Entscheidung.

„Weichenstellung für die EU“

Aus dem Corona-Hilfsfonds werden 312,5 Mrd. Euro als Zuschüsse an die EU-Staaten verteilt und bis zu 360 Mrd. Euro als Darlehen (in Preisen von 2018). Die Kläger hatten argumentiert, die EU-Verträge würden eine gemeinsame Schuldenaufnahme verbieten. Bundesregierung und die EU-Kommission berufen sich dagegen auf Ausnahmeregelungen in den Verträgen bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, in denen Mitgliedstaaten ein finanzieller Beistand der Union gewährt werden kann.

„Der europäische Druck auf das Bundesverfassungsgericht, jetzt nicht der EU in ihrer Pandemie-Politik durch eine Blockade in den Rücken zu fallen, war offensichtlich zu groß“, erklärte Friedrich Heinemann, Experte für Öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW Mannheim. Er rechnet damit, dass diese Weichenstellung die EU auf Dauer verändern wird. „Dies ist ein großer Schritt in Richtung eines europäischen Haftungsverbunds.“

In den vergangenen Wochen hatte sich auch der Bundesrechnungshof schon kritisch geäußert und unter anderem darauf verwiesen, dass die geplante Anhebung der Eigenmittelobergrenze dazu führe, dass der Aufbaufonds „übersichert“ sei. Die Prüfer haben ein Garantievolumen von mindestens 4000 Mrd. Euro errechnet, also die fünffache Summe des Fonds (siehe Grafik).

Sowohl im Bundestag als auch im EU-Parlament wurde die Karlsruher Entscheidung begrüßt. Der grüne EU-Abgeordnete Rasmus Andresen sprach von einem „guten Tag für den europäischen Zusammenhalt und die Demokratie“. Eine deutsche Blockade des Wiederaufbaufonds hätte die EU in eine tiefe ökonomische und politische Krise geführt. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber betonte, bei der Bewertung des Fonds sei ganz entscheidend, dass es sich um ein einmaliges Krisenreaktionsinstrument und nicht um den Startschuss für die Schuldenunion handele.

Für große Erleichterung dürfte der Entscheid aus Karlsruhe auch bei der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgen, deren Notenbanker sich am heutigen Donnerstag zur Zinssitzung zusammenschalten. Das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel hatte vor wenigen Tagen mit ungewöhnlich drastischen Worten vor einer „wirtschaftlichen Katastrophe“ gewarnt, falls sich die Auszahlung der Gelder aus dem Fonds auf unbestimmte Zeit verzögern würde. Die EZB-Granden sehen in der Coronakrise die Fiskalpolitik in besonderer Verantwortung, die Wirtschaft zu unterstützen. Einige Notenbanker haben auch schon artikuliert, dass die bisherigen 750 Mrd. Euro womöglich nicht ausreichen.