Karlsruhe winkt ESM durch – Finanzmärkte atmen auf

Verfassungsgericht verhängt aber Auflagen - Rolle der EZB wird später geprüft

Karlsruhe winkt ESM durch – Finanzmärkte atmen auf

fed/ku/lz/wf Frankfurt – Der Weg für den Euro-Rettungsschirm ESM ist frei. Das Bundesverfassungsgericht billigte am Mittwoch den Beitritt Deutschlands zum dauerhaften “Europäischen Stabilitätsmechanismus” unter Auflagen. “Die Prüfung hat ergeben, dass die angegriffenen Gesetze die Verfassung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verletzen”, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Verkündung der Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht fordert die Regierung aber auf, in mehreren Punkten für Klarheit zu sorgen: So muss die Haftungssumme auf maximal 190 Mrd. Euro begrenzt bleiben und darf – wenn überhaupt – nur mit Zustimmung des Bundestags erhöht werden. Zudem müssten Bundestag und Bundesrat immer ausreichend über die ESM-Aktivitäten informiert werden. Geheimhaltungsvorschriften im ESM-Gouverneursrat dürfen das nicht verhindern. Dax auf 14-Monats-HochAn den Märkten sorgte das Urteil – trotz der Auflagen – zeitweise für euphorische Stimmung. Der Dax kletterte unmittelbar nach der Bekanntgabe der Entscheidung bis auf 7 410 Punkte, damit auf den höchsten Stand seit 14 Monaten. Danach setzten allerdings Gewinnmitnahmen ein. Den Handel beendete der deutsche Leitindex mit einem Plus von 0,5 % bei 7 344 Zählern. Der Euro erklomm mit in der Spitze 1,2936 Dollar das höchste Niveau seit Mai. Er hat sich damit sehr deutlich von seinem Juli-Tief von nur knapp über 1,20 Dollar abgesetzt.An der Umsetzung der Karlsruher Vorgaben werde umgehend gearbeitet, ließ die Bundesregierung mitteilen. Es werde “schnellstmöglich” geklärt, in welcher Form die vom Gericht geforderte völkerrechtliche Formulierung niedergelegt werden soll. Nach Meinung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kann der Euro-Rettungmechanismus ESM nun schon “innerhalb weniger Wochen einsatzbereit” sein. Die Bundesregierung werde “im Rahmen des Ratifikationsverfahrens” völkerrechtlich sicherstellen, dass die Haftung Deutschlands “unter allen Umständen” auf den Haftungshöchstbetrag beschränkt bleibe. Zugleich wird Schäuble zufolge erneut klargestellt, dass die Informationsrechte von Bundestag und Bundesrat umfassend gewahrt bleiben.Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Entscheidung aus Karlsruhe. “Deutschland sendet heute einmal mehr ein starkes Signal nach Europa und darüber hinaus”, sagte die Kanzlerin in der Generaldebatte zum Bundeshaushalt im Bundestag. “Das ist ein guter Tag für Deutschland, und das ist ein guter Tag für Europa”.Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte in der Urteilsverkündung den großen Ermessensspielraum der Politik. Über “die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit” des von Bundestag und Bundesrat mit großer Mehrheit verabschiedeten Rettungspakets habe das Gericht nicht zu entscheiden. Dazu seien in erster Linie diejenigen berufen, “die direkt vom Volk gewählt sind”.Die Haushaltsautonomie des Bundestags, das bekräftigte das Gericht, dürfe aber unter keinen Umständen verletzt und zugunsten von Einrichtungen der EU eingeschränkt oder gar aufgegeben werden. In den Ausführungen des Gerichts wird zudem die Sorge deutlich, dass sich die Politik im Zuge der Euro-Rettung über zahlreiche zentrale Verfassungs- und Vertragsbestimmungen hinwegsetzen könnte. So wenden sich die Verfassungsrichter offen gegen eine Umgehung der ESM-Haftungsgrenzen etwa durch die Vergabe einer Banklizenz an den Rettungsfonds oder durch die Einlage von Sicherheiten bei der EZB im Gegenzug für Kredite.Zudem betonen die Richter, dass sie den Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank für unzulässig halten, wenn dadurch Mitgliedsstaaten unabhängig von den Kapitalmärkten finanziert werden sollen.Das Hauptsacheverfahren könnte bereits im Oktober anberaumt und Anfang 2013 entschieden werden. Spekuliert wurde zuletzt darüber, ob Karlsruhe dann seine Bedenken über eine mögliche Überdehnung des Mandats der EZB dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen könnte. Denn das Inkrafttreten des ESM erleichtert auch den Weg für das Anleihekaufprogramm der EZB. Die EZB hatte beschlossen, unter bestimmten Umständen Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Voraussetzung dafür sei, dass diese einen Hilfsantrag beim Rettungsschirm (ESM oder EFSF) stellten.—– Nebenstehender Kommentar- Schwerpunkt Seiten 6 und 7- Marktreaktionen und Kolumne “Kreditwürdig” Seite 17