Karlsruhe zielt auf das QE-Programm

Langfassung der Urteilsbegründung zur OMT-Entscheidung setzt der Bundesbank enge Grenzen

Karlsruhe zielt auf das QE-Programm

Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwar dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs unterworfen, konturiert jedoch dessen Argumentation, bindet die Bundesbank und nimmt die Bundesregierung mehr in die Pflicht. Zugleich begegnet es damit auch der Gefahr, dass die EZB der Versuchung monetärer Staatsfinanzierung ganz erliegt.Von Stephan Lorz, FrankfurtDie ausführliche Begründung des Bundesverfassungsgerichts zu seinem OMT-Urteil setzt der Bundesbank engere Grenzen bei der Mitwirkung an der Euro-Geldpolitik, als es bei der Urteilsverkündung am 21. Juni und in der Presseerklärung zunächst zum Ausdruck kam. Vor allem legen die Karlsruher Richter die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dem sie sich unterworfen haben, nun so eng aus, dass auch das laufende Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing, QE) damit erfasst wird.Das gibt den Klägern gegen dieses Programm neue Munition. Denn im Grunde genommen verbieten sie der Bundesbank daran teilzunehmen, sofern die Käufe angekündigt werden und damit vorhersehbar sind. Denn sonst könnten sich Regierungen mit ihrer Fiskalpolitik womöglich darauf einstellen. Volumen und zeitliche Abfolge in ihrem Kaufverhalten legt die EZB aber explizit offen, um die Märkte darauf einzustimmen.Das OMT-Programm wurde 2012 auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise beschlossen. “OMT” steht für “Outright Monetary Transactions”, was übersetzt “direkte geldpolitische Geschäfte” bedeutet. Damit sollen gezielt Staatsanleihen von angeschlagenen Euro-Ländern aufgekauft werden, um extreme Renditeausschläge einzudämmen. OMT wurde zwar noch nie aktiviert, gilt aber neben dem berühmt gewordenen Versprechen von EZB-Chef Mario Draghi, die Notenbank werde alles tun (“whatever it takes”), um den Euro zu verteidigen, als stärkste Waffe im Kampf gegen die Schuldenkrise und Spekulationen gegen den Euro.Um die Transmission der Geldpolitik zu verbessern und die Notenbank wieder in die Lage zu versetzen, auf die Teuerung Einfluss zu nehmen, hat die EZB danach das QE-Programm aufgelegt (“Quantitative Easing”). Damit werden nach dem Kapitalschlüssel Staats- und inzwischen auch Unternehmensanleihen aller Euro-Staaten aufgekauft. Durch die fest Aufteilung will man dem Vorwurf der “monetären Staatsfinanzierung” begegnen. Bundestag nicht aushöhlenDer größte Teil des Schriftsatzes beschäftigt sich mit der Stellung des Bundesverfassungsgerichts, der Bundesregierung und des Bundestags im europapolitischen Kontext. Die Richter warnen, dass bei der Übertragung von Hoheitsrechten die Grundsätze des Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Bundesstaatsprinzips nicht ausgehöhlt werden dürften. Es müsse sichergestellt sein, dass dem Deutschen Bundestag eigene Aufgaben und Befugnisse “von substanziellem politischem Gewicht verbleiben” und dass er in der Lage sei, seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen.Die Rechtsfortbildung in der EU durch den EuGH erkennt Karlsruhe förmlich an, weshalb es den EU-Richtern auch einen großen Ermessensspielraum einräumt. Allerdings, schränken sie ein, dürften deutsche Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte weder am Zustandekommen noch an Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung von Ultra-vires-Akten teilnehmen – also an Handlungen und Machtausweitungen, die über die eingeräumten Kompetenzen hinausgehen.Nur vor diesem Hintergrund übernimmt das Bundesverfassungsgericht die Interpretation des EuGH hinsichtlich der OMT-Entscheidung und hat deshalb die anhängigen Klagen abgewiesen. Denn die Europa-Richter halten das OMT-Programm für akzeptabel und sehen darin kein Vehikel zu monetärer Staatsfinanzierung. Allerdings macht sich Karlsruhe die einschränkenden Ausführungen der Europa-Richter zu eigen und führt diese weiter.Das gilt zunächst für die EuGH-Forderung nach richterlicher Kontrolle, der sich die EZB zu unterwerfen habe. Insofern, argumentieren die deutschen Verfassungsrichter, dürfe die EZB die geldpolitische Zielrichtung eines Programms nicht einfach behaupten. Vielmehr müssten Richter in der Lage sein, die zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen zu hinterfragen oder zumindest im Einzelnen nachzuvollziehen. Ansonsten besteht aus ihrer Sicht die Gefahr von Willkür: “Eine großzügige Hinnahme behaupteter Zielsetzungen verbunden mit weiten Bewertungsspielräumen der Stellen der EU und einer erheblichen Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte ist geeignet, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU eine eigenständige Disposition über die Reichweite der ihnen von den Mitgliedstaaten zur Ausübung überlassenen Kompetenzen zu ermöglichen.”Daraus leitet das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Maßgaben ab, an denen sich Programme der EZB zu messen haben:1) Das Programm muss ausschließlich an der Gewährleistung der Preisstabilität ausgerichtet sein. Insoweit sei es “begründungspflichtig”. Zumindest ex post ließe sich dann die tatsächliche Zielbindung überprüfen. Die Richter sprechen von der “verfahrensrechtlichen Einhegung”.2) Eine unbegrenzte Ausdehnung eines Ankaufprogramms ist verboten. Das Volumen künftiger Ankäufe muss vorab verbindlich festgelegt werden und darf das zur Wiederherstellung des Transmissionsmechanismus nötige Maß nicht überschreiten.3) Zugleich darf das vorab festgelegte Volumen “nicht angekündigt” werden, um das Risiko zu mindern, dass durch die Euro-Mitgliedstaaten Anleihen gerade mit dem Ziel des Ankaufs durch die EZB ausgegeben würden. Änderten jene Staaten ihr Emissionsverhalten, müsse die EZB darauf reagieren.4) Es besteht ein Umgehungsverbot: Staatsanleihen dürfen auch am Sekundärmarkt nicht erworben werden, wenn dies die gleiche Wirkung hat wie ein unmittelbarer Erwerb. Ansätze zu neuen KlagenDa der Ankauf von Staatsanleihen durch das Eurosystem grundsätzlich geeignet ist, zu haushaltsbedeutsamen Ausgaben oder Einnahmeausfällen zu führen, wohne Offenmarktgeschäften stets ein Verlustrisiko inne, räumen die Richter ein. Allerdings tragen sie Berlin auf, stets darauf zu achten, dass “der Bundestag der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird – auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten”.Nur auf den ersten Blick, so Michael Schubert von der Commerzbank in einer Studie zur Urteilsbegründung, habe das Gericht viele Steine für EZB-Anleihekäufe aus dem Weg geräumt. Eine genaue Analyse der Details des Urteils zeige allerdings, “dass das Gericht offenbar einige Steine nur anders platziert hat”. Klagen gegen das laufende QE-Programm könnten infolgedessen nicht ausgeschlossen werden.