Deutsche Konjunktur

"Kassandrarufe sind fehl am Platze"

Die jüngsten Prognoseanpassungen für die deutsche Konjunkturentwicklung sorgen auch auf der IWF-Herbsttagung für Debatten. Weder Finanzminister Christian Lindner noch die Präsidenten von Bankenverband und Bundesbank wollen in das "Kranker Mann Europas"-Narrativ einstimmen. Alle fordern aber Strukturreformen.

"Kassandrarufe sind fehl am Platze"

"Kassandrarufe sind fehl am Platze"

Debatte um deutsche Konjunktur- und Inflationsentwicklung – Lindner dringt auf Schuldenabbau – Banken fordern Reformen

Die jüngsten Prognoseanpassungen für die deutsche Konjunkturentwicklung sorgen auch auf der IWF-Herbsttagung für Debatten. Weder Finanzminister Christian Lindner noch die Präsidenten von Bankenverband und Bundesbank wollen in das "Kranker Mann Europas"-Narrativ einstimmen. Alle fordern aber Strukturreformen.

ahe Marrakesch

Trotz der aktuell schwachen Wirtschaftsentwicklung und der in den vergangenen Tagen gesenkten Konjunkturprognosen durch den IWF und die Bundesregierung warnt Finanzminister Christian Lindner vor Schwarzmalerei. "Kassandrarufe sind fehl am Platze", betonte der FDP-Chef auf der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Marrakesch. International werde Deutschland weiterhin als "Stabilitätsanker" wahrgenommen. Dies habe sich auch in Marrakesch noch einmal gezeigt. Wie Lindner wies auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel die Kritik zurück, Deutschland sei wieder "der kranke Mann Europas". Es gebe "viel Aufholpotenzial".

Lindner verwies auf die fiskalische Trendwende, die sich viele schon vorgenommen hätten, die Deutschland in diesem Jahr aber erreicht hätte. Mit dem Weg zu einer moderat restriktiven Fiskalpolitik werden das Land in diesem Jahr ein Haushaltsdefizit von "deutlich unter 3%" des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen und nicht wie eigentlich angekündigt mehr als 4%. Auch der Schuldenstand werde deutlicher sinken als eigentlich prognostiziert, kündigte Lindner an und sprach von "enormer wirtschaftlicher Substanz".

Der Präsident des Bundesverbands deutscher Banken (BdB), Christian Sewing, warnte in Marrakesch, Deutschland sei zwar aktuell nicht der kranke Mann Europas, könne dies aber weiterhin werden, wenn nicht bestimmte Weichen richtig gestellt würden. Dazu zählte der Deutsche-Bank-Chef Maßnahmen gegen die überbordende Bürokratie, die hohen Energiepreise und den Fachkräftemangel und forderte zugleich ein stärkeres Zusammenwachsen der EU.

Sewing: Zinsen 2024 stabil

Der BdB-Präsident geht davon aus, dass die Zinsen im kommenden Jahr auf dem derzeitigen Niveau bleiben werden und dass es in dieser Zeit noch nicht zu einer Zinssenkung kommen wird. Dies werde auch Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, unter anderem auf die Refinanzierungen. Die Banken sähen sich in der zweiten Jahreshälfte 2024 und 2025 einer höheren Refinanzierungswelle gegenüber, sagte Sewing.

Große Unsicherheit gibt es allerdings bei der weiteren Inflationsentwicklung: Der IWF hatte zuletzt für Deutschland für 2024 eine Teuerungsrate von 3,5% in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung geht in ihrer Herbstprognose nur von 2,6% aus. Bundesbankpräsident Nagel sagte jetzt in Marrakesch, er wäre "sehr zufrieden" bei einer Rate von etwas über 3%. Die zehn Zinserhöhungen der EZB zeigten ihre Wirkung. Lindner betonte, der Kampf gegen die Inflation habe in der laufenden Legislaturperiode unverändert oberste Priorität. Ansonsten gebe es die Gefahr, dass das ganze wirtschaftliche Fundament unterspült werde.

EU-Fiskalregeln im Fokus

Bei der Frage, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung jetzt das Wachstum unterstützen kann, plädierte der Bundesfinanzminister unter anderem für eine "Bürokratiepause". Es gehe zudem um Planungsbeschleunigung.

Bei den am Montag und Dienstag in Luxemburg anstehenden Treffen von Eurogruppe und EU-Finanzministern, bei denen auch noch einmal nach einer Einigung für die künftigen EU-Haushaltsregeln gesucht wird, will Lindner keine neuen Kompromisse anbieten, wie er andeutete. Bewegen müssten sich andere, betonte er. Deutschland sei bereits "weite Wege zu einem Kompromiss gegangen". Europa brauche aber glaubwürdige Haushaltsregeln.

Auch Nagel warnte, bei den bisherigen Verhandlungen auf EU-Ebene habe sich eher gezeigt, dass die fiskalischen Spielräume der Länder noch steigen sollten. Für die Finanzmärkte wäre aber eine schlechte Einigung auf neue Regeln kein gutes Signal. Die bisherigen europäischen Schulden- und Fiskalregeln sind noch bis Jahresende ausgesetzt.

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