Katalanische Separatisten verzichten auf Neuwahlen

Ratlosigkeit über die nächsten Schritte

Katalanische Separatisten verzichten auf Neuwahlen

ths Madrid – Die spanische Regierung wird am Wochenende aller Wahrscheinlichkeit nach erstmals gemäß der Verfassung von 1978 in einer autonomen Region eingreifen und den katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont und dessen Kabinett absetzen. An einem äußerst chaotischen Tag änderte Puigdemont seine Meinung und verzichtete auf Neuwahlen, welche die Anwendung des Artikels 155 der Verfassung eventuell noch vermeiden könnten. Am Mittag hieß es aus dem Umfeld des katalanischen Regierungschefs, dass er sich für Wahlen entschieden habe. Doch eine angekündigte offizielle Stellungnahme Puigdemonts wurde erst um eine Stunde verschoben, dann ganz abgesagt. Am Nachmittag dann erklärte der Ministerpräsident, dass er auf Neuwahlen verzichtet.”Es gibt keine Garantien, die diesen Schritt rechtfertigen”, sagte Puigdemont. Damit versuchte er, der Regierung in Madrid die Schuld zuzuschieben, da diese ihm angeblich nicht garantieren konnte, dass der Artikel 155 im Falle von Neuwahlen nicht angewendet wird. Doch die Sozialisten der PSOE, der größten Oppositionspartei Spaniens, verhandelten mit der konservativen Volkspartei (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy genau darüber, dass die Intervention der katalanischen Regierung bei Ausrufung von Wahlen nicht erfolgen würde.Puigdemont stand unter riesigem Druck von beiden Seiten. Die gemäßigten Mitglieder seiner konservativ-nationalistischen Partei PDeCAT drangen auf Wahlen, und auch der Ministerpräsident des Baskenlandes, Íñigo Urkullu, versuchte in diesem Sinne zwischen Madrid und Barcelona zu vermitteln. Als die Nachricht durchdrang, dass Puigdemont diesem Druck standgehalten habe, gab es eine wütende Reaktion seitens der radikaleren Separatisten. Die links-nationalistische ERC drohte mit einem Bruch der Koalitionsregierung, die antikapitalistische CUP, auf deren Stimmen die Minderheitsregierung angewiesen ist, beschimpfte Puigdemont als Verräter, und zwei Abgeordnete seiner PDeCAT gaben sogar ihren Rücktritt bekannt.Nach der Kehrtwende des katalanischen Ministerpräsidenten herrschte Ratlosigkeit über die nächsten Schritte. Das Parlament in Barcelona debattierte am Abend über eine Antwort auf die drohende Anwendung des Artikels 155, wobei nicht ausgeschlossen wurde, dass es noch spontan zu einer Abstimmung über die Unabhängigkeit kommen könnte. Die Debatte war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet.Gleichzeitig beriet der spanische Senat in Madrid über die Art und Weise, wie Artikel 155 umgesetzt werden soll. Nach Zustimmung des Oberhauses müsste das spanische Kabinett am Freitag oder Samstag tagen und die Maßnahmen aktivieren. Als Erstes würden Puigdemont und dessen Minister abgesetzt, und Madrid würde eigene Leute in den katalanischen Ministerien installieren. Den separatistischen Politikern drohen Gerichtsverfahren, die in langen Haftstrafen enden könnten. Derweil räumte EZB-Präsident Mario Draghi ein, dass die Ereignisse in Katalonien große Bedeutung haben. Es sei aber noch zu früh, um über Risiken für die Finanzstabilität zu sprechen.