Arbeitsmarkt

Kaum noch Fachkräftepotenzial in Deutschland

Deutschland gehen die Fachkräfte aus. Potenzial sehen Experten bei der Teilzeit – und in der Zuwanderung. Doch beides reicht bislang nicht.

Kaum noch Fachkräftepotenzial in Deutschland

Kaum noch Fachkräftepotenzial in Deutschland

Destatis: 85 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung gehen bereits einer Beschäftigung nach – Zuwanderung wird wichtiger

ast Frankfurt

Der Fachkräftemangel dürfte sich in Deutschland in Zukunft noch weiter zuspitzen. Berechnungen zufolge gehen bereits 87% der Bevölkerung zwischen 25 und 59 Jahren einer Erwerbstätigkeit nach. Das meldete das Statistische Bundesamt (Destatis) am Donnerstag. Daten des europäischen Statistikamts Eurostat zufolge waren 2022 in der Europäischen Union 75% der 20 bis 64 Jahre alten erwerbsfähigen Personen in einem Job tätig – ein Allzeithoch. Die Reserve, um in den kommenden Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheidende Facharbeiter zu ersetzen, ist fast aufgebraucht. Potenzial sehen die Wiesbadener Statistiker bei den Teilzeitbeschäftigten – und in der Zuwanderung.

Zunahme der Teilzeit

Schon heute klagt Umfragen des Ifo-Instituts zufolge mehr als jedes zweite Unternehmen über fehlendes Personal. In einigen Branchen liegt der Anteil sogar noch deutlich darüber. Bis 2035 wird ein großer Teil der Babyboomer, die derzeit den Großteil der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland ausmachen, den Arbeitsmarkt in Richtung Ruhestand verlassen. Die jüngeren Altersgruppen können diese Lücke allerdings nicht füllen. Destatis stellte am Donnerstag eine Sonderseite mit Daten zum Fachkräftemangel und zur Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland vor. In der Fachkräftestrategie, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Frühjahr in Berlin vorstellte, heißt es daher, dass die stille Reserve gehoben werden muss.

Dazu zählen unter anderem die Teilzeitbeschäftigten. Zwar lässt sich die Zahl der erwerbsfähigen Personen nur bedingt erhöhen, wohl aber deren Arbeitsvolumen. So nimmt die Teilzeitbeschäftigung in Deutschland seit Jahren zu. 30% der Angestellten arbeiteten in Deutschland im vergangenen Jahr in Teilzeit. Während knapp jede zweite Frau einer Teilzeitbeschäftigung nachging, lag die Quote unter den Männern mit nur 13% deutlich niedriger (siehe Grafik).

Angesichts der veränderten Prioritäten in jüngeren Generationen ist allerdings fraglich, wie die Motivation zu mehr Arbeitsstunden gelingen kann. So geht aus dem aktuellen Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hervor, dass 53% der Berufstätigen ihre Arbeitszeit eher verkürzen möchten – von derzeit durchschnittlich 38,4 Stunden pro Woche. Teilzeit wird immer beliebter. Laut BAuA liegen die Gründe nahe: Kürzere Arbeitszeiten wirken sich nicht nur positiv auf die Work-Life-Balance aus, sondern auch auf die Gesundheit.

Wenn es die Teilzeitarbeitenden nicht richten können, muss eben doch das Arbeitskräfteangebot vergrößert werden. Dafür möchte die Bundesregierung die Zuwanderung stärken. Eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ist auf dem Weg. Die Zugangsbeschränkungen zum Arbeitsmarkt – etwa durch den Nachweis von Berufsqualifikation oder Deutschkenntnissen – sollen erleichtert werden. Die Ampel-Koalition möchte zudem ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild einführen, das auch andere Faktoren stärker berücksichtigt. Wie das Statistische Bundesamt ebenfalls am Donnerstag meldete, waren Ende 2022 rund 351.000 Personen aus Nicht-EU-Staaten mit einem befristeten Aufenthaltstitel zum Arbeiten im Land. Die Erwerbsmigration nimmt seit 2010 spürbar zu. Gegenüber 2021 zählte das Statistikamt im vergangenen Jahr 19% mehr Ausländer mit Arbeitsvisum. Auch die Zahl der Fachkräfte mit Berufsausbildung aus dem Ausland stieg deutlich: Um 44% gegenüber dem Vorjahr. Auch hier allerdings reicht die Zahl der Zuwanderer noch bei weitem nicht aus, um den Bedarf der Unternehmen zu decken.

Reallöhne sinken stärker

Wie Destatis außerdem am Donnerstag meldete, sind die Reallöhne im vergangenen Jahr stärker gesunken als zunächst gemeldet. Durchschnittlich nahmen die Reallöhne gegenüber 2021 um 4,0% ab. Das Statistikamt revidierte die zunächst gemeldeten Zahlen aufgrund eines Wechsels des Basiszeitraums. Der Nominallohnanstieg fiel demnach 2022 um 0,9 Prozentpunkte geringer aus als zunächst gedacht (+2,6%). Die Arbeitnehmer haben damit trotz Gehaltssteigerungen weniger im Geldbeutel. Grund dafür ist die hohe Inflation, die 2022 bei 6,9% lag und damit jede nominale Lohnsteigerung mehr als verschlang. Es war der stärkste Reallohnrückgang seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008.