WACHSENDE SORGEN UM SCHWELLENLÄNDER -- IM INTERVIEW: JÖRG KRÄMER

"Kein Beginn einer Schwellenländer-Krise"

Der Commerzbank-Chefvolkswirt dämpft Sorgen um Ansteckungseffekte - Türkei droht großer Schaden

"Kein Beginn einer Schwellenländer-Krise"

– Herr Krämer, wie groß ist die Gefahr, dass die Krise in der Türkei oder auch in Argentinien noch zu einer ausgewachsenen, breiten Schwellenländer-Krise wird?Ich glaube nicht, dass es zu einer generellen Krise der Schwellenländer kommt. Erstens haben sich die Zentralbanken der meisten Schwellenländer in den vergangenen Jahren eine recht hohe Glaubwürdigkeit erarbeitet. So haben sie die Inflation niedrig gehalten und ihre Inflationsziele alles in allem eingehalten. Die Türkei ist hier eine unrühmliche Ausnahme. Zweitens sind die Leistungsbilanzen der meisten Schwellenländer in einem wesentlich besseren Zustand als vor Ausbruch der Asien-Krise vor gut 20 Jahren. China und Russland haben sogar Leistungsbilanzüberschüsse. Drittens ist die Inflation in den USA recht niedrig, so dass die US-Notenbank nicht gezwungen ist, ihre Leitzinsen kräftig anzuheben.- Welche Länder sehen Sie denn aktuell als bedroht an?Besonders bedroht ist natürlich die Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Zentralbank lange daran gehindert, mit beherzten Zinserhöhungen gegen die steigende Inflation vorzugehen. Ihre Glaubwürdigkeit ist mittlerweile so beschädigt, dass es nicht mehr sicher ist, ob sie ihre Währung überhaupt noch mit Zinserhöhungen stabilisieren kann. Hinzu kommt das Problem der seit langem hohen Leistungsbilanzdefizite, die zu einer hohen Auslandsverschuldung vieler Unternehmen geführt haben. Das Risiko ist real, dass die Türkei am Ende zu Kapitalverkehrsbeschränkungen greifen muss. Damit könnte sie zwar die Währung stabilisieren, aber Anleger säßen mit ihren Geldern in der Türkei fest und würden nach einem Abklingen der Krise auf Jahre nicht zurückkehren.- Können die Probleme in den Schwellenländern dem globalen Aufschwung den Garaus machen?Wie gesagt, die Probleme einzelner Schwellenländer markieren meines Erachtens nicht den Beginn einer Schwellenländer-Krise. Deshalb werden sie auch nicht die gesamte Weltwirtschaft mit nach unten ziehen. Ich erwarte, dass die Weltwirtschaft weiter mit ordentlichen Raten von rund 3,5 % wachsen wird. Die US-Wirtschaft hat zuletzt sogar positiv überrascht, auch weil die Steuersenkungen von Präsident Donald Trump die Gewinne der US-Unternehmen deutlich erhöht haben.- Wie groß sind denn die Gefahren, die durch die Turbulenzen in der Türkei und anderen Schwellenländern für die deutsche Wirtschaft drohen?Die Auftragseingänge des deutschen verarbeitenden Gewerbes fallen seit einem halben Jahr. Aber das ist vor allem eine Normalisierung, nachdem die deutsche Industrie in der zweiten Hälfte vergangenen Jahres recht stark gewachsen war. Mittlerweile haben sich das Ifo-Geschäftsklima und andere Stimmungsindikatoren wieder stabilisiert. Außerdem läuft die Binnenkonjunktur gut, sie wird von den für Deutschland viel zu niedrigen EZB-Leitzinsen angefacht. Selbst wenn die Türkei in die Rezession geriete, kann das der deutschen Wirtschaft nicht viel ausmachen. Schließlich fließen nur 1,6 % der deutschen Exporte in die Türkei.- Könnten die Schwellenländer gar eine neue Weltfinanzkrise wie jene ab 2008 auslösen?Ich sehe keine Schwellenländer-Krise, die eine Weltfinanzkrise auslösen würde. Die langfristigen Risiken liegen eher in den entwickelten Ländern selbst – vor allem im Euroraum. Dort sind die Ursachen der Staatsschuldenkrise in der Breite noch nicht gelöst – und schon gar nicht in Italien, wo eine populistische Regierung dabei ist, eine ohnehin viel zu hohe Staatsverschuldung weiter nach oben zu treiben. Außerdem besteht in Deutschland das Risiko, dass die aus Rücksicht auf Italien zu lockere EZB-Geldpolitik die Immobilienpreise weiter anheizt. Das könnte in einigen Jahren zu einer Blase führen, deren Platzen die deutsche Wirtschaft schwer schädigen würde.—-Die Fragen stellte Mark Schrörs.