NOTIERT IN MOSKAU

Kein Platz für Unternehmer

In Russland liegen Feiern und Trauern derzeit sehr nahe beieinander. Gefeiert wird Anfang Mai ja ausgiebig, gedenkt man doch am 9. Mai des Sieges über Hitlers Naziregime und hat daher beschlossen, zwischen dem 1. und 9. Mai fast durchgehend zu...

Kein Platz für Unternehmer

In Russland liegen Feiern und Trauern derzeit sehr nahe beieinander. Gefeiert wird Anfang Mai ja ausgiebig, gedenkt man doch am 9. Mai des Sieges über Hitlers Naziregime und hat daher beschlossen, zwischen dem 1. und 9. Mai fast durchgehend zu urlauben. Dass in diese Zeit mit Dienstag, 7. Mai, auch der Jahrestag der Inauguration von Wladimir Putin zu seiner dritten Amtszeit im Kreml fiel, sollte die Festtage natürlich aufwerten. Tut es da wie dort auch. Vielerorts aber eben auch nicht.Putins Bilanz ist so berauschend nämlich nicht. Wegen der vorjährigen Massenproteste ging das ganze vergangene Jahr dafür drauf, mit restriktiven Anlassgesetzen oppositionelle Regungen abzuwürgen. Die Methoden sind vielfältig und brutal. Wie groß die Vorsicht ist, zeigte sich am Montag, als das Regime wieder an die 5000 Polizisten aufmarschieren ließ, um eine Gedenkkundgebung der entkräfteten Protestbewegung im Zaum zu halten.Vorsicht ist gewissermaßen die Mutter einer langen Herrschaftsperiode von Putin. In keinem seiner 13 Jahre am Staatsruder wurde das deutlicher als im soeben abgelaufenen. Wie dieser Energieaufwand jeglichen Reformansatz im Keim erstickt, erklärt Konstantin Sonin, Prorektor der Moskauer Higher School of Economics, in einem pikanten Kommentar: “Weil jede, sogar die kleinste Reform irgendjemandem einen Verlust bringt, haben die ,LeidtragendenÔÇÿ in jedem Bereich sehr gewieft einen Trick verinnerlicht: Jeder Reformversuch wird auf der Stelle zu einem ,Kampf gegen PutinÔÇÿ deklariert und damit entsprechend blockiert.”Dabei hätte Russland Reformbedarf wie nie. Das wird sogar im Establishment zugegeben. Maximal fünf Jahre blieben noch Zeit für Strukturreformen, meinte Wirtschaftsminister Andrej Belousow jüngst in einer Alarmrede. Denn wenn dann die Umgestaltung des Weltenergiemarktes einsetze, könne das zum Ölpreisverfall führen, für dessen Abfederung Russland kein Geld haben werde.Spätestens seit das Wirtschaftsministerium den Prognosewert für das BIP-Wachstum 2013 von zuvor 3,6% auf 2,4% gesenkt hat, ist Feuer unterm Dach. Die Barrieren lägen im Land selbst, heißt es von immer mehr Seiten. Und deshalb brauche es für den Aufschwung entweder staatliche Investitionen oder eine Beseitigung der Schranken, sprich Schutz des Eigentums, Unabhängigkeit der Gerichte und Altbekanntes mehr. In der Tat ist es nämlich so, wie es ein Analyst kürzlich formuliert hat: “Die Privatunternehmer könnten investieren, wollen aber nicht, die Staatskonzerne wollen, aber können nicht.”Der Schlüssel sind und bleiben die Privatunternehmer. Das Problem aber ist: Niemand ist in Russland stärker angefeindet als ein Unternehmer. Gewiss, es rührt aus der Sowjetzeit her, als jeglicher Reichere als unehrlich galt. Diese Sichtweise hat sich aber im Kopf der Bürger festgesetzt. Und weil sie auch im Kopf der Beamten ist, ist der Unternehmer gezwungen, illegale Schleichwege zu suchen, um konkurrenzfähig zu sein. Oder er sucht den Beistand der Beamten und zahlt dafür eben die landesüblichen Prozente im Kuvert.Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Unternehmer zur seltenen Spezies in Russland wird und nur konkurrenzfreie Staatsunternehmen und oligarchische Großkonzerne übrigbleiben. Der “Global Entrepreneurship Monitor” für das Jahr 2012 zeigt, dass lediglich 2,2% der Russen ihr eigenes Business beginnen wollen. Das ist der niedrigste Wert unter allen untersuchten Ländern und der niedrigste in Russland seit 2006. Auch gemeinsam mit den bereits aktiven Unternehmern wollen nur 3,8% ein eigenes Geschäft starten, während dies in den BRICS-Staaten im Schnitt 21% vorhaben.Dass das Wirtschaftsministerium mit der Statistik nicht einverstanden ist, weil sie ihm zufolge nicht berücksichtigt, dass in Russland viele Unternehmer in die Schattenwirtschaft abgewandert sind, macht es nicht besser: Irgendwer muss sie dort ja hingetrieben haben.Interessant wird’s im Jahr 2020, ätzte kürzlich die Zeitung “Wedomosti”: Wenn dann nämlich Russland gemäß Putins Vorgabe auf den beachtlichen Platz 20 im Geschäftsklima-Index der Weltbank “Doing Business” aufgestiegen sein wird, könnte niemand mehr da sein, der eine Firma führt.