Keine echten Alternativen zu Putin
Angesichts der Konsequenz, mit der Russlands Präsident Wladimir Putin den Westen geopolitisch vorführt, mag die Frage, wie sehr er sich als Staatsmann eignet und ob er wirklich die beste Wahl für das Land ist, vermessen erscheinen. Und doch bleibt sie unbeantwortet und virulent. Denn de facto hat er sich in seinen 16 Jahren an der Macht nie einem wirklichen Wettbewerb bei Wahlen gestellt. Mehr noch, er hat sich konsequenterweise auf keine einzige TV-Konfrontation mit einem Herausforderer und Gegenkandidaten eingelassen. Das hat zwei gravierende Folgen, die miteinander korrelieren: Zum einen bleibt Putins Bild durchgestylt und makellos. Zum anderen werden seine potenziellen Gegner im Inland als Staatsfeinde diskreditiert und im Westen unkritisch als fraglos bessere Alternativen gehandelt. Beides dient der Wahrheitsfindung nur sehr eingeschränkt.Jüngst hat nun wieder jener Mann von sich reden gemacht, der im Kreml seit Jahren am meisten gefürchtet und daher mit Gerichtsprozessen klein gehalten wird: Alexej Nawalny. Ende 2011 hatte er als bisher einziger Politiker seit 2000 die unzufriedenen Massen zu den stärksten Protesten seit Putins Machtantritt geführt. Sein Kunstgriff bestand darin, dass er die nationalistische Karte gegen die Gastarbeiter aus Zentralasien ausspielte und sich als Zeichen seines ehrlichen Kampfes gegen Korruption mit geringen Anteilen in börsennotierte Staatskonzerne einkaufte, um als Anteilseigner auf den Hauptversammlungen Einblick in krumme Machenschaften zu fordern. Am Ende sah sich der Kreml sogar gezwungen, ihn zu den Bürgermeisterwahlen 2013 in Moskau zuzulassen, wo er auf Anhieb 27 % der Stimmen erreichte.Nun gab Nawalny bekannt, er werde bei den Präsidentenwahlen 2018 antreten. Und zwar ungeachtet eines Strafprozesses gegen ihn; bis dahin werde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alle gegen ihn laufenden Verfahren in Russland als politisch motiviert niedergeschlagen haben, sagte Nawalny. Im Vorjahr hatte der Gerichtshof für Menschenrechte schon einmal geurteilt, der Prozess gegen Nawalny sei unfair gewesen.Ob es zur Kandidatur kommt, ist höchst fraglich. Der Kreml hat ausreichend Mittel, um Nawalny klein zu halten. Und offenbar will er das auch, wie Insider dem TV-Sender “Doschd” erklärten. Kurzzeitig habe man allerdings mit der Idee gespielt, mit einer Zulassung Nawalnys die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Das Unterfangen wäre nicht ungefährlich. Zwar spricht im Moment nichts dafür, dass Putins Macht gefährdet wäre. Aber was Soziologen beschäftigt, ist die Diskrepanz zwischen der nach wie vor hohen Zustimmung von 84 % und dem steigenden Prozentsatz derer, die die Wirtschaftskrise am eigenen Leib spüren und mit der Lage unzufrieden sind.Aber was hat Nawalny zu bieten? Nun, außer seinem Charisma und Furor, wie es ein Mitstreiter einmal nannte, nichts, was Experten überzeugen würde. So enthalte das Programm zwar das Beste aus 25 Jahren Präsidentenwahlen, aber es fehle das substanziell Neue, erklärt Andrej Mowtschan, Ex-Investmentbanker und Chef des Wirtschaftsressorts beim Moskauer Carnegie-Institut. Und selbst beim Altbekannten würden konkrete Umsetzungspläne fehlen. Nawalnys Ideenspektrum beginnt bei einer Entschädigungsgebühr der Oligarchen – ohne zu erklären, wie sich das auf die ohnehin ungewissen Eigentümerrechte auswirken würde. Auch spricht er von einem Mindestlohn – ohne die Auswirkungen auf die vielen Kleinunternehmen auszuführen. Woher er Geld für den Staat nehmen will, wisse auch Nawalny nicht, so Mowtschan. Wo seine Ansichten nicht mit denen Putins übereinstimmten, würden sie sich mit denen der rechten und linken Populisten decken. Und vor allem bleibe auch Nawalny die Antwort schuldig, wie er ein Land ändern wolle, das sich nicht ändern will.Solch ein Land braucht zur Ablenkung von der eigenen Misere immer einen äußeren Feind. Wenn nun durch Donald Trump tatsächlich eine Annäherung mit Amerika stattfindet, kommt dieser Feind abhanden. Daher rührt wohl auch, dass Putins Rede zur Lage der Nation Anfang Dezember derart unambitioniert und impulsschwach daherkam. “Wenn kein Krieg ist”, kommentierte damals Nawalny, “hat er nichts, worüber er reden kann”.