LEITARTIKEL

Keine Schnellschüsse

Der Wandel ist ein steter Begleiter der Zentralbanken, deren Historie je nach Definition bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Die Aufgaben, die Ziele, die Instrumente - immer wieder hat sich all das verändert. Manche Zentralbanken wie die Bank of...

Keine Schnellschüsse

Der Wandel ist ein steter Begleiter der Zentralbanken, deren Historie je nach Definition bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Die Aufgaben, die Ziele, die Instrumente – immer wieder hat sich all das verändert. Manche Zentralbanken wie die Bank of Canada überprüfen ihr geldpolitisches Rahmenwerk heute gar turnusmäßig. Wenn die US-Notenbank Fed also nun ihr Handeln auf den Prüfstand stellt, ist das “best practice” und absolut richtig. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) muss künftig ihr Tun grundlegend hinterfragen. Sie sollte sich aber nicht überhastet in diese Debatte stürzen und sie muss sich vor Schnellschüssen hüten.Mehr als 16 Jahre ist es her, dass die EZB ihre Strategie 2003 überprüft hat. Allein das ist ein starkes Argument dafür, dass sie dem Vorbild der Fed folgen sollte. Hinzu kommt, dass die Weltfinanzkrise an Grundfesten der Geldpolitik gerüttelt und es große Veränderungen in der Weltwirtschaft und den Finanzmärkten gegeben hat. Die EZB sollte die Diskussion aber nicht aus der tagesaktuellen Not einer zu niedrigen Inflation heraus führen. Nötig ist ein breit aufgestellter Prozess, ähnlich jenem 2003 oder der Fed aktuell. Wenn es 2020 einen neuen EZB-Präsidenten und überhaupt viele neue Gesichter im Rat gibt, macht eine solche Debatte Sinn – vorausgesetzt, Euroland stürzt bis dahin nicht wieder ins wirtschaftliche Chaos.Das Mandat Preisstabilität wird dabei nicht zur Disposition stehen. Das ist im EU-Vertrag verankert. Es wäre aber auch ohne das richtig, das Mandat nicht anzutasten. Sicher muss auch die EZB Finanzstabilitätsrisiken größere Bedeutung beimessen. Aber dabei hilft es schon, einen längerfristigen geldpolitischen Horizont einzunehmen. Ein explizites Mandat birgt nicht nur Interessenkonflikte. Zudem dürften schnell andere Begehrlichkeiten wieder aufpoppen, was die EZB nicht alles tun solle. Der aberwitzige Vorschlag der italienischen Populisten, sie solle die Staatsanleiherenditen deckeln, hallt nach. Wer das Mandat antastet, öffnet schnell die Büchse der Pandora. Statt mehr Aufgaben braucht die EZB eher eine Refokussierung auf ein enges Mandat – und eine Entpolitisierung.Beim Preisstabilitätsziel von mittelfristig unter, aber nahe 2 % sieht das anders aus. Es geht nicht darum, das Ziel grundsätzlich zu erhöhen oder zu senken. Das macht aktuell keinen Sinn und ist nicht nötig. Es ist aber ein Problem, dass es im EZB-Rat unterschiedliche Interpretationen gibt. Da tut mehr Klarheit not. Ein Ziel- oder Toleranzband rund um ein Punktziel kann viel Sinn machen. Denn es ist eine Mär zu glauben, die Zentralbanken könnten die Inflation punktgenau steuern. Alles entscheidend ist aber, dass die EZB wieder stärker die Mittelfristigkeit ihres Ziels betont. Die war in den Anfangstagen bewusst gewählt. Nach einer Krise wie der Weltfinanzkrise dauert es schlicht länger, bis sich eine Wirtschaft berappelt und die Preise steigen – da kann sich eine Zentralbank noch so auf die geldpolitischen Hinterbeine stellen.Was schließlich die eigentliche Strategie betrifft, hat sich die EZB immer stärker von der Zwei-Säulen-Strategie aus wirtschaftlicher und monetärer Analyse verabschiedet und auf die Inflationssteuerung (“Inflation Targeting”) umgeschwenkt. Die EZB sollte die Analyse monetärer Trends aber nicht ganz aufgeben. Die Betrachtung von Geldmengen und Kreditvergabe liefert einen wichtigen Beitrag zur Analyse von Finanzstabilitätsrisiken. Die Inflationssteuerung blendet das aus. In den USA zeichnet sich nun ab, dass die Fed künftig auf eine Strategie des “Average Inflation Targeting” setzen könnte: In guten Zeiten soll die Inflation oberhalb des 2-Prozent-Ziels liegen, um einen Ausgleich für schlechte Zeiten mit Raten unterhalb zu haben. Das birgt in der Theorie Vorteile, aber auch große praktische Fragen. Ein großes Manko: Es ist bislang nie getestet worden. Der Erfolg ist ungewiss.Bei den Instrumenten und der operationellen Umsetzung der Geldpolitik spricht aktuell wenig dafür, eine schnelle Rückkehr zur reinen Zinspolitik oder dem Vorkrisen-Rahmenwerk zu erwarten. Die Notenbankbilanz wird zumindest auf absehbare Zeit ein wichtigeres Instrument bleiben als in der Vergangenheit. Das alte System mit knapper Liquidität scheint vorerst passé. Trotzdem sollte der Versuch unternommen werden, die Geldpolitik so weit wie möglich zu normalisieren. Starke Markteingriffe via breite Wertpapierkäufe bergen viele Gefahren und sollten nicht zur neuen Norm werden.Wenn sich die Fakten ändern, muss man seine Meinung ändern, hat John Maynard Keynes einmal sinngemäß gesagt. Man muss aber auch nicht gleich alle alten Grundsätze leichtfertig über Bord werfen. ——Von Mark SchrörsAuch die EZB braucht eine Debatte über ihre Strategie. Das sollte sie aber in Ruhe angehen. Es gilt, nicht alle Grundsätze leichtfertig über Bord zu werfen.——