Keine Zölle auf zwei künftig getrennten Märkten
ahe Brüssel – Die EU und Großbritannien haben sich an Heiligabend nach knapp zehnmonatigen Verhandlungen auf ein Handels- und Kooperationsabkommen verständigt, das die künftigen bilateralen Beziehungen ab 2021 abstecken soll. Die Vereinbarungen umfassen ein Freihandelsabkommen, eine Sicherheitspartnerschaft und horizontale Verabredungen unter anderem zur Durchsetzung und Streitbeilegung.Der gesamte Vertrag einschließlich der ausgegliederten Bereiche und Deklarationen umfasst 1 298 Seiten. Auf diesen geht es insbesondere um den künftigen Handel mit Waren und Dienstleistungen. Hinzu kommen aber auch Vereinbarungen in Bereichen wie Investitionen, Wettbewerb, staatliche Beihilfen, Steuertransparenz, Luft- und Straßenverkehr, Energie und Nachhaltigkeit, Fischerei, Datenschutz und Koordinierung der sozialen Sicherheitssysteme.Auch wenn im Warenhandel ab 2021 weiterhin keine Zölle anfallen – der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen Großbritannien und der EU wird am 1. Januar trotzdem enden. Großbritannien gehört dann nicht mehr dem Binnenmarkt und der Zollunion an. Die EU-Kommission verweist daher auch noch einmal ausdrücklich darauf: Trotz des Handels- und Kooperationsabkommens werden die Europäische Union und das Vereinigte Königreich ab 2021 zwei getrennte Märkte bilden mit zwei verschiedenen Regulierungs- und Rechtsräumen.Nicht in das Abkommen einbezogen wurden die Finanzdienstleistungen, für die es eigenständige Regelungen geben soll (siehe Bericht auf Seite 4). Eine automatische Anerkennung von Berufsabschlüssen fällt künftig weg. Und auch die Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik, äußere Sicherheit und Verteidigung fällt nicht unter das Abkommen, da London diese Frage im Gegensatz zur EU nicht verhandeln wollte. Die Verabredungen im Detail Warenhandel: Für Waren, die die Ursprungsbedingungen erfüllen, gibt es auch künftig keine Zölle und keine Mengenkontingente. Nicht wegfallen werden aber Kontrollen sowie Ein- und Ausfuhrformalitäten. Nachweise sind unter anderem für die Einhaltung der EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards nötig. Insbesondere für Branchen wie Automobil und Chemie sowie für KMU soll es Vereinfachungen geben. Die Programme der “Authorized Economic Operators” der jeweils anderen Seite sollen anerkannt werden, damit vertrauenswürdige Händler bestimmte Erleichterungen erhalten. Fischerei: EU-Fischer müssen in den nächsten fünfeinhalb Jahren auf 25 % ihrer bisherigen Fangquoten in den britischen Gewässern verzichten. Ab Mitte 2026 werden die Fangquoten jährlich neu verhandelt. Verkehr: Geplant ist eine dauerhafte und nachhaltige Vernetzung des Luft-, Straßen-, Schienen- und Seeverkehrs. Fahrgastrechte, Arbeitnehmerrechte und die Verkehrssicherheit sollen dabei nicht gefährdet werden. Energie: Das Abkommen enthält eigene Vereinbarungen für den Energiehandel, für die Produktion von erneuerbaren Energien und die Anbindung von Netzen. Festgelegt werden auch faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Energiesektor, einschließlich von Sicherheitsstandards für Offshore-Anlagen. Level Playing Field: Beide Seiten haben sich verpflichtet, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und damit insbesondere auch die hohen Standards in Bereichen wie Umweltschutz, Bekämpfung des Klimawandels und CO2-Preisgestaltung, Sozial- und Arbeitnehmerrechte, Steuertransparenz und staatliche Beihilfen. Das Abkommen sieht die Möglichkeit vor, einseitige Ausgleichsmaßnahmen (z. B. über Zölle) bei erheblichen Abweichungen vorzunehmen. Staatliche Beihilfen: Grundsätzlich gilt ein Verbot von handelsverzerrenden Subventionen. Vereinbart wurden allgemeine Grundsätze beispielsweise zur Notwendigkeit von Beihilfen, die wiederum durch spezifische verbindliche Grundsätze ergänzt wurden. Hierzu gehören die Definition von Schlüsselsektoren (Luftverkehr, Energie, Finanzdienstleistungen u. a.) und mögliche Arten von Beihilfen – etwa für die Rettung und Umstrukturierung angeschlagener Unternehmen. Steuern: Das Abkommen enthält eine “Good-Governance-Klausel”, in der sich beide Seiten verpflichten, Standards für den Austausch von Steuerinformationen, bei der Steuervermeidung und die Transparenz der öffentlichen Steuern einzuhalten. Diese Bestimmungen basieren auf internationalen Standards (u. a. der OECD) und betreffen Regeln zur Zinsbegrenzung, zu kontrollierten ausländischen Unternehmen und hybriden Inkongruenzen sowie für eine öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung. Rechtsdurchsetzung: Als neues Gremium wird der “Gemeinsame Partnerschaftsrat” eingesetzt, der dafür sorgt, dass das Abkommen ordnungsgemäß angewandt und ausgelegt wird. Laut EU gibt es einen “verbindlichen Durchsetzungs- und Streitbeilegungsmechanismus” – notfalls über ein unabhängiges Schiedsgericht. Sicherheitspartnerschaft: Im Bereich der Strafverfolgung und Justiz soll es auch künftig eine enge Zusammenarbeit geben. Die Kooperation britischer Behörden mit den EU-Agenturen Europol und Eurojust soll weiterlaufen. Auf die EU-Datenbank zur Fluggastdaten-Speicherung, auf Fahrzeugregisterdaten oder das EU-Strafregister wird London auch künftig zugreifen können. Personenfreizügigkeit: Wer künftig in Großbritannien arbeiten und leben will, muss ein Visum beantragen. Für Touristen wird es bei kürzeren Reisen keine Visumspflicht geben. Teilnahme an EU-Programmen: Großbritannien nimmt zunächst von 2021 bis 2027 weiter an fünf EU-Programmen teil: am Forschungsprogramm Horizon, dem Forschungs- und Ausbildungsprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom), dem Kernfusionsreaktorprojekt Iter, dem Erdbeobachtungssystem Copernicus sowie dem Satellitenüberwachungssystem SST. Dafür muss sich London weiter an der Finanzierung über den EU-Haushalt beteiligen. Am Erasmus-Austauschprogramm wird Großbritannien nicht mehr teilnehmen.