Keir Starmer punktet in den ersten 100 Tagen
Von Andreas Hippin, LondonKeir Starmer (57) hat in den ersten 100 Tagen als Oppositionsführer Großbritanniens einen bemerkenswerten Erfolg verbucht. Erstmals seit 13 Jahren ist die britische Öffentlichkeit einer Meinungsumfrage zufolge der Ansicht, dass ein Labour-Politiker den besseren Premierminister abgeben würde. In der von dem Marktforscher Opinium für den “Observer” durchgeführten Befragung hielten ihn 37 % für die bessere Wahl. Der konservative Amtsinhaber Boris Johnson kam auf 35 %. Damit sieht Starmer weitaus besser aus als Iain Duncan Smith, der einst an seinen ersten Tagen als Tory-Parteichef gemessen werden wollte und sich davon bis heute nicht erholt hat.Der ehemalige Menschenrechtsanwalt wirkt zwar reichlich hölzern, schafft es aber, durchaus kompetent zu erscheinen. Anders als sein Vorgänger Jeremy Corbyn konnte Starmer Johnson in der allwöchentlichen Fragestunde im Unterhaus anfangs mit Nadelstichen nerven. Seine Strategie: peinlich genaue Vorbereitung seiner Wortbeiträge, um Johnson, der sich bekannterweise nicht für Detailfragen interessiert, wie einen Stümper aussehen zu lassen. Doch als ein deutlich besser gebriefter Johnson einen Schlagabtausch mit Starmer mit den Worten “Ihr Zeuge, Mr. Speaker!” beendete, hatte er die Lacher auf seiner Seite.Wenn man dem Leitsatz glauben schenkt, dass Wahlen nicht von der Opposition gewonnen, sondern von der Regierung verloren werden, stehen Starmers Chancen aktuell nicht allzu schlecht. Doch bis zu den nächsten Wahlen ist es noch vier Jahre hin. Und der Hoffnungsträger vieler kontinentaleuropäischer Sozialdemokraten ist in der Partei nicht unumstritten. Deshalb war sein Amtsantritt auch kein radikaler Bruch mit der Ära Corbyn, zumal der ehemalige Leiter des Crown Prosecution Service (CPS) in Corbyns “Schattenkabinett” für das Thema Brexit verantwortlich zeichnete. Gegen AntisemitismusStarmer schaffte es allerdings, seine ehemalige Rivalin um den Parteivorsitz, Rebecca Long-Bailey, aus der Führung zu entfernen. Die designierte Bildungsministerin musste gehen, nachdem sie auf ihrem Twitter-Feed ein Interview der Schauspielerin Maxine Peake, das eine antisemitische Verschwörungstheorie beinhaltete, weiterverbreitet hatte. Damit signalisierte Starmer, dass er den in der Partei grassierenden Antisemitismus ernster nimmt als sein Vorgänger, dem der nationale Befreiungskampf der Palästinenser mehr am Herzen lag. Die Reaktionen auf Long-Baileys Entlassung zeigten, dass die Macht der “Corbynistas” gebrochen ist. Doch sind sie keinesfalls verschwunden. Und Starmer muss sich Sorgen machen, wenn er von Black Lives Matter UK (BLM) in Anspielung auf seine Zeit an der Spitze des CPS als “Polizist in einem teuren Anzug” bezeichnet wird. Denn die linksliberale städtische Mittelschicht, die sich von Extinction Rebellion und BLM gleichermaßen mitreißen ließ, legt Wert auf “virtue signalling”. Als Starmer es wagte zu sagen, die BLM-Idee, der Polizei die Finanzierung zu entziehen, sei “Unsinn”, löste das großen Unmut aus. Prompt wurde er aufgefordert, ein Training gegen “unbewusste Voreingenommenheit” zu absolvieren.Starmer wurde nach dem Labour-Politiker Keir Hardie benannt. Er trat bereits als Teenager in die Partei ein und führte die Jungsozialisten von East Surrey. Nach seinem Jurastudium in Leeds übernahm der überzeugte Europäer zahlreiche Fälle, in denen er für Gewerkschaften oder gegen die Polizei auftrat. Später fungierte er als Berater des Policing Board in Nordirland.