Klassenkampf mit Steuerpolitik
Steuersenkungsrunden gehören wohl bald der Vergangenheit an. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat bereits angekündigt, die Wende einzuleiten, sollte er das Regiment in einer neuen Bundesregierung übernehmen. Von einer Neuauflage der Vermögensbesteuerung und einer Anhebung des Spitzensteuersatzes ist die Rede. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die Erbschaftsbesteuerung wegen Verstoßes gegen die Steuergerechtigkeit dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen, dürfte ebenfalls eine Korrektur in Richtung höherer Steuerbelastung nach sich ziehen. Die Folgen der Finanz- und Euro-Krise sowie die Umsetzung der Schuldenbremse erhöhen den Druck auf die öffentlichen Haushalte obendrein. Daten über zunehmende Armutsquoten und steigende Spitzeneinkommen bei Stagnation der unteren Lohngruppen bilden dabei den gesellschaftlichen Resonanzboden. Von einer Entsolidarisierung der Besserverdiener und Vermögenden ist die Rede, ein Auseinanderfallen der Gesellschaft drohe.Tatsächlich ist die Kluft zwischen Arm und Reich zuletzt größer geworden. Die obersten 10 % der deutschen Einkommensteuerzahler verdienen derzeit etwa achtmal so viel wie das unterste Zehntel. In den 90er Jahren lag das Verhältnis noch bei 6 : 1. Auch die Verteilung der Vermögen ist nach wie vor höchst einseitig. Die 10 % Vermögensreichsten besitzen die Hälfte des privaten Gesamtvermögens. Vor diesem Hintergrund ist es sogar die Pflicht in einer Demokratie, die bisherigen Rahmenbedingungen zu analysieren und Anpassungen zu debattieren. Denn Steuern sind, so Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof, der “Preis der Freiheit”. Und ein Steuersystem muss sich nicht nur an der Leistungsfähigkeit der Bürger und an der Höhe ihrer Einkommen orientieren, sondern sollte auch von einer großen Mehrheit der Gesellschaft insgesamt akzeptiert werden.Doch entscheidend ist dabei, dass alle Fakten und Wirkungsmechanismen auf den Tisch gelegt und mit Blick auf die anstehenden Wahlen nicht nur überholte Parolen aus der Klassenkampfzeit hervorgekramt werden. Die vorliegenden Daten sind zu hinterfragen. So kommen in der statistisch ermittelten hohen Armutsgefährdungsquote von knapp 17 % der deutschen Bevölkerung eine ganze Reihe von eigenen Einschätzungen der Betroffenen zum Tragen. Zudem wird die dahinter stehende Systematik zurecht kritisiert. Auch die Einkommenskluft ist verzerrt durch die Zunahme der oft freiwilligen Teilzeitbeschäftigung sowie der Migration in die Sozialsysteme. Umgekehrt unterschlagen die Verteidiger der etablierten Ordnung, dass die 10 % Höchstverdiener zwar die Hälfte der Einkommensteuerlast tragen, doch weniger als ein Viertel der Sozialabgaben und weniger als ein Fünftel der Verbrauchsteuern. Ihr Beitrag zu den Gesamtabgaben dürfte dann eher bei 30 bis 40 % liegen.Ob das unserer Gesellschaft reicht, ist zu debattieren. Doch muss davor gewarnt werden, Gleichheit mit Gerechtigkeit zu verwechseln. Eine gewisse Ungleichheit ist nötig, weil durch sie Dynamik entsteht. Erfolg, Wohlstand und Reichtum dürfen zudem nicht per se kriminalisiert werden. Außerdem gibt es auch praktische Zwänge bei der Umverteilung: Ein zu starker Steuerzugriff lähmt die Leistungsbereitschaft und gefährdet das Überleben von Betrieben. Und was die Erbschaftsteuer anbelangt, an die aus Gerechtigkeitserwägungen wegen ihres leistungslosen Zuflusscharakters noch am ehesten stärker zugegriffen werden könnte, so gibt es da handfeste Probleme bei der gerechten Umsetzung. Zudem drohen negative Folgen etwa für Unternehmen, was wieder Verschonungsregeln notwendig macht. Ohnehin müssen sich die Reichtumskritiker aus SPD und Gewerkschaften ans eigene Revers fassen. Denn dass die “Ärmeren” in der Vergangenheit nicht so am Vermögensaufbau partizipierten, liegt auch daran, dass sich SPD und Gewerkschaften stets gegen eine größere Beteiligung der Arbeiter am Produktivvermögen gesperrt hatten.Letztlich ist ein Steuer- und Abgabensystem dann gerecht, wenn die Durchlässigkeit einer Gesellschaft groß und der erstrebte Wohlstand bei entsprechender Leistungsbereitschaft auch erreichbar ist. Das ist in Deutschland derzeit nicht gewährleistet: Die Offenheit der Bevölkerungsschichten hat eher abgenommen. Grund dafür sind die verkorkste Bildungspolitik, leistungshemmende Sozialpolitik und kartellierte Macht- und Vermögenseliten, die sich gegen jede Veränderung wehren. Joseph Schumpeters Forderung nach “schöpferischer Zerstörung” gilt in dieser Beziehung darum auch für das Steuer- und Abgabensystem. Nur darf die Debatte nicht in ideologischen Grabenkämpfen stecken bleiben.——–Von Stephan Lorz ——- Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland wird größer. Eine offene Debatte ohne Scheuklappen und klassenkämpferische Attitüde ist überfällig.