ANSICHTSSACHE

Klimawandel und Geldpolitik

Börsen-Zeitung, 28.11.2018 Die Rufe werden lauter, dass Unternehmen, Banken und öffentliche Einrichtungen Strategien und Produktpaletten klimafreundlicher gestalten sollen. Kein Wunder, dass immer lautstarker Forderungen auch an die Zentralbanken...

Klimawandel und Geldpolitik

Die Rufe werden lauter, dass Unternehmen, Banken und öffentliche Einrichtungen Strategien und Produktpaletten klimafreundlicher gestalten sollen. Kein Wunder, dass immer lautstarker Forderungen auch an die Zentralbanken herangetragen werden, ebenfalls einen Beitrag zur Lösung der identifizierten Probleme zu leisten. Allerdings: Die Lösung der mit dem Klimawandel verbundenen Probleme beziehungsweise ihre Finanzierung liegt recht weit entfernt vom vorrangigen Mandat einer Zentralbank, der Sicherung stabiler Preise. Kein Freibrief für WillkürGerade das eng gefasste Mandat der Europäischen Zentralbank (EZB) begrenzt unsere Möglichkeiten, hier einen Beitrag zu leisten. Die EU-Verträge räumen uns bei der Wahl der geldpolitischen Instrumente zwar Unabhängigkeit ein. Diese Unabhängigkeit ist aber kein Freibrief für willkürliches Handeln. Die eingesetzten geldpolitischen Instrumente müssen notwendig, geeignet und verhältnismäßig sein, um unser Ziel zu erreichen. Darüber hinaus müssen sie den Grundsätzen einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb Rechnung tragen. Entfernen wir uns von diesen strengen Vorgaben, so untergräbt das unsere Legitimität. Dies könnte wiederum unsere Unabhängigkeit in der Zukunft gefährden und damit die Fähigkeit, unser Mandat langfristig zu erfüllen.Die Problematik lässt sich beispielhaft am Ankaufprogramm für Wertpapiere zeigen. Die Ankäufe und Reinvestitionen im Rahmen des sogenannten Asset Purchase Programmes, APP, sind zeitlich begrenzt. Sie dienen der Sicherung der Preisstabilität. Daher müssen diese Ankäufe so kalibriert werden, dass sie die größtmögliche Wirkung auf Produktion und Inflation entfalten. Das bedeutet, Anleihen zu kaufen, die von einem breiten, repräsentativen Spektrum von Wirtschaftssektoren begeben werden, ohne dabei die relativen Preise der Vermögenswerte zu verzerren. Preisstabilität vorrangigAuf kohlenstoffintensive Sektoren entfiel nahezu die Hälfte der Anleihen, die für das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) zu dessen Beginn zugelassen waren. Wären diese Anleihen ausgeschlossen worden, hätte das den Umfang des Programms eingeschränkt und damit seine Wirksamkeit verringert. Ein Ausschluss dieser Sektoren würde also die Eignung des Instruments für sein vorrangiges Ziel beeinträchtigen, die Gewährleistung der Preisstabilität.Der Grundsatz der Marktneutralität bedeutet natürlich, dass wir auch grüne Anleihen gekauft haben. Entsprechend halten wir derzeit rund 24 % zugelassene, öffentlich begebene grüne Anleihen und rund 20 % grüne Anleihen des privaten Sektors. In beiden Fällen steht dieser Anteil im Einklang mit unserem Anteil an den Beständen der gesamten im Rahmen des CSPP ankauffähigen Anleihen.Das APP ist aber ein Instrument für die makroökonomische Stabilisierung und nicht für mikroökonomischen Eingriffe. Ein Abweichen von der Marktneutralität und Eingriffe in die Wirtschaftspolitik würden die EZB in die Nähe der Industriepolitik rücken sowie erheblichen Rechtsrisiken aussetzen.Die Entscheidung, ob und wann ein bestimmter Industriezweig stillgelegt werden soll, ist nicht von der Zentralbank, sondern von gewählten Regierungen zu treffen. Als Zentralbank müssen wir demokratisch legitimierte Entscheidungen achten und umsetzen. Die Qualität und Wirksamkeit der Geldpolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten davon profitiert, dass sich Zentralbanken aus Werturteilen über die Moral von Produkten, Märkten und Industrien herausgehalten haben.Unbestritten: Der Klimawandel birgt das Risiko erheblicher sozialer Kosten und wirtschaftlicher Störungen. Und egal, welchen Weg eine Gesellschaft einschlägt, die potenziellen Veränderungen können gravierende Auswirkungen auf Sektoren, Regionen, die Einkommens- und Vermögensverteilung und Generationen im Zeitablauf haben. Wirtschaftlich gesehen, wird es relative Gewinner und Verlierer geben. Für die Analyse und Auswahl möglicher Lösungen, einschließlich deren Finanzierung, ist eine rigorose politische Debatte erforderlich. Nicht im luftleeren RaumNatürlich agiert selbst eine unabhängige Zentralbank nicht im luftleeren Raum. Technologischer Fortschritt, Innovationen, geopolitische Spannungen und regulatorische Anforderungen des Gesetzgebers beeinflussen das Umfeld, in dem die Geldpolitik durchgeführt wird. Und bei ihren Pensionsfonds etwa kann eine Zentralbank durchaus, im Einklang mit ihrer Belegschaft, bei anderen Zielen eine Vorreiterrolle spielen.Das Beobachten und die Analyse, inwieweit die Transmission der Geldpolitik, der Konjunkturzyklus, die Solidität einzelner Banken und die Finanzstabilität als Ganzes durch den Klimawandel beeinträchtigt werden könnten, ist jedoch Teil unseres vorausschauenden Handelns. Versuchung wäre zu groß Von den eigentlichen politischen Debatten sind die Zentralbanken aber ausdrücklich ausgeschlossen. Im Fall der EZB hat dieser Status der “Entpolitisierung” sogar Verfassungsrang. Denn angesichts der fast unbegrenzten Finanzkraft der Zentralbanken wäre die Versuchung, die Geldpolitik für kurzfristige politische Ziele zu nutzen, für die politischen Entscheidungsträger zu groß. Genau aus diesem Grund wurde die Geldpolitik in den meisten Ländern Technokraten übertragen, die unabhängig von der Politik sind und sich an ein strenges und eindeutiges Mandat zur Gewährleistung von Preisstabilität halten müssen.—-Yves Mersch ist Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Yves Mersch Eingriffe in die Wirtschaftspolitik würden die EZB in die Nähe der Industriepolitik rücken sowie erheblichen Rechtsrisiken aussetzen.—–