Russland-Sanktionen

Kohle- und Gas­embargo laut Wirtschafts­forschern verkraftbar

Die EU hat ein Embargo auf russische Kohle beschlossen. Die Folgen dürften jedoch auf beiden Seiten überschaubar sein. Während Deutschland sich nach Alternativen umsieht, dürfte Russland die Ausfälle durch höhere Defizite gegenfinanzieren.

Kohle- und Gas­embargo laut Wirtschafts­forschern verkraftbar

ast Frankfurt

Die EU-Staaten haben ein fünftes Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Enthalten sind ein Embargo auf Kohle, Holz und Wodka, Transaktionsverbote für russische Banken und eine Hafensperre. Die EU-Kommission war am Dienstag mit einem Paket vorangeprescht, um eine klare Reaktion auf die Kriegsverbrechen in Butscha zu zeigen (vgl. BZ vom 5. April). Ökonomen und Wirtschaft reagieren gelassen: Auch ein kurzfristiger Kohle- und Gasstopp sei verkraftbar.

Seit Wochen galt ein Gas- oder Kohleembargo als Schreckgespenst. Immerhin ist Deutschland einer der größten Abnehmer von russischer Kohle in Europa. Der Verein der Kohlenimporteure (VdKi) versicherte am Freitag, die Steinkohleimporte aus Russland könnten „zumindest mittelfristig durch andere Länder ersetzt werden“. Die Rede ist von den USA, Südafrika, Australien, Kolumbien, Mosambik und Indonesien. 80% der Mitglieder des Verbands sprachen sich einer aktuellen VdKi-Umfrage für diese Möglichkeit aus.

„Es gibt einen gut funktionierenden Weltmarkt“, versicherte Alexander Bethe, VdKi-Vorstandsvorsitzender. Allerdings sei mit Teuerungen zu rechnen. Das Embargo kommt für den VdKi nicht überraschend: Bereits seit September häufen sich logistische Probleme beim Import von russischer Kohle. Seitdem suchen Handel und Verbraucher nach Alternativen und importieren bereits aus anderen Ländern als Russland.

Das Ifo-Institut hat die Eckdaten zu Kohlevorräten und Alternativen untersucht. Ein Embargo für russische Steinkohle sei „kurzfristig unangenehm, aber verkraftbar“, erklärte Ifo-Forscherin Karen Pittel. Allerdings dürften auch die Folgen für Russland gering sein, da dort ebenso alternative Käufer gesucht würden.  Zu diesem Schluss kommt auch das Leibniz-Institut SAFE. „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Russland erhebliche Einbußen aus dem Öl- und Gasgeschäft finanziell abfedern kann“, schreibt SAFE-Experte Alfons Weichenrieder. Ein Energieembargo werde die Stabilität der russischen Wirtschaft nicht entscheidend beeinträchtigen, so der Autor. Einnahmenverluste bei Öl und Gas seien in der Vergangenheit teils durch höhere öffentliche Defizite kompensiert worden.

Noch 2022 gasunabhängig

Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge könnte Deutschland noch 2022 unabhängig von russischem Gas werden. 55% der Erdgasimporte kamen bislang aus Russland. Zweitwichtigster Exporteur ist Norwegen (37%). Hier könnten Lieferverträge aufgestockt werden. Zudem könnten deutsche Energieversorger laut DIW durch Flüssigerdgas-Terminals der Nachbarn in den Niederlanden, Belgien und Frankreich einen weiteren Teil des Bedarfs decken.  Zudem gebe es ein kurzfristiges Einsparpotenzial von 19 bis 26% der bisherigen Erdgasnachfrage. Mittelfristig sei dieses Potenzial noch größer – mithilfe erneuerbarer Wärmeversorgung und mehr Energieeffizienz. Die deutsche Versorgung mit Erdgas könne auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter gesichert werden, schreiben die DIW-Autoren.

Die EU unternahm derweil am Freitag erste Schritte für gemeinsame Gaskäufe. Das erste Treffen einer Plattform für den Einkauf von Gas, Flüssiggas und Wasserstoff fand nach Angaben der EU-Kommission am Freitag statt.

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