"Komme, was da wolle"
Die britische Regierung zeigt sich zu Beginn weiterer Verhandlungen über die künftigen Beziehungen mit der EU unnachgiebig. “Wir werden kein Vasallenstaat”, sagt Verhandlungsführer David Frost. Premier Boris Johnson stellt der EU gar ein Ultimatum. Aus Brüssel gibt es deutliche Reaktionen. hip/ahe London/Brüssel – Vor der heute beginnenden achten Post-Brexit-Verhandlungsrunde hat sich der Ton auf beiden Seiten deutlich verschärft. Britische Presseberichte -unter anderem in der “Financial Times” – sowie Äußerungen von Premierminister Boris Johnson sorgten in Brüssel für Aufregung und entsprechende Reaktionen.”Dieses Mal werden wir nicht nachgeben”, lautete die Schlagzeile der “Mail on Sunday” nach einem Interview mit dem britischen Chefunterhändler David Frost. Dieser betonte vor der heute in London startenden Verhandlungsrunde zu den künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU, in Brüssel habe man immer noch nicht verinnerlicht, dass das Vereinigte Königreich “eine unabhängige, souveräne Nation” sein wolle. Weil die Regierung von Theresa May in den Brexit-Verhandlungen nachgegeben habe, werde Großbritannien dort nicht mehr ernst genommen, bemängelte Frost. Sein Team versuche den Verhandlungspartnern klarzumachen, “dass wir meinen, was wir sagen”.”Wir werden kein Vasallenstaat”, sagte Frost der Zeitung: “Wir werden keine Kompromisse machen, wenn es um Grundsätze wie die Kontrolle über unsere eigenen Gesetze geht.” Großbritannien werde keine “Level Playing Field”-Regeln akzeptieren, die das Land an die Art und Weise binden, wie Dinge in der EU erledigt werden. “Wir werden keine Vorgaben akzeptieren, die ihnen die Kontrolle über unser Geld oder die Art geben, wie wir in Großbritannien Dinge organisieren”, sagte Frost: “Das sollte unumstritten sein, denn das ist es, was ein unabhängiges Land ausmacht. Es ist das, wofür die britische Bevölkerung gestimmt hat, und es ist das, was Ende des Jahres geschehen wird – komme, was da wolle.” Johnson setzt UltimatumPremierminister Johnson gab den Verhandlern lediglich 38 Tage Zeit, um noch eine Einigung zu erzielen. Sollte es bis zum 15. Oktober keinen Durchbruch bei den Gesprächen geben, werde sich Großbritannien auf ein “No Deal”-Szenario einstellen. “Wir treten nun in die Schlussphase unserer Verhandlungen mit der EU ein”, hieß es in seinem Redetext: “Die EU ist sehr klar gewesen, was den Zeitrahmen angeht. Ich bin es auch.” Wenn eine Übereinkunft Ende des Jahres in Kraft treten solle, müsse sie bis zum EU-Gipfel stehen: “Es hat also keinen Sinn, über Zeitpläne nachzudenken, die über diesen Punkt hinausgehen.”Unterdessen trat 10 Downing Street einer Geschichte der “Financial Times” entgegen, in der es hieß, die Regierung wolle mit dem für Mittwoch angekündigten Gesetz zum britischen Binnenmarkt (Internal Market Bill) die Austrittsvereinbarung bei umstrittenen Themen wie Staatshilfen und Nordirland aushebeln. “Wir haben uns voll und ganz zur Umsetzung der Austrittsvereinbarung und des Nordirland-Protokolls verpflichtet und haben bereits viele praktische Schritte getan”, sagte ein Sprecher des Premierministers.Man wolle lediglich “geringfügige Klarstellungen in äußerst spezifischen Bereichen” vornehmen, um bei der Umsetzung von Austrittsvereinbarung und Nordirland-Protokoll Rechtssicherheit zu gewährleisten.Der Bericht sowie die schrillen Töne aus London provozierten in Brüssel scharfe Reaktionen. Von “Erpressung”, “Schock” und “Wahnsinn” war die Rede. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte Großbritannien offiziell zur Einhaltung des Austrittsvertrages auf. Das sei Verpflichtung nach internationalem Recht und Voraussetzung für die künftige Partnerschaft, schrieb sie auf Twitter.Jenseits der Rhetorik haben sich die beiden Seiten in den vergangenen Wochen indes angenähert – auch bei der künftigen Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Großbritannien wäre zu einem Rahmenvertrag bereit, statt auf separate Abkommen zu setzen. In der Fischereipolitik halten Analysten ein Abkommen, das in mehrjährigen Intervallen verhandelt werden muss, weiterhin für einen gangbaren Kompromiss. Der Goldman-Sachs-Volkswirt Adrian Paul hält ein “dünnes” Freihandelsabkommen noch in diesem Jahr – keine Zölle, keine Quoten – für das wahrscheinlichste Ergebnis.