KOMMENTAR

Kompromuss

Die Freunde theatralischer Inszenierungen werden in den nächsten Monaten auf ihre Kosten kommen, wenn sie den Blick auf die Brüsseler Bühne richten. Schließlich steht ein echtes Drama auf dem Programm: Großbritannien und alle anderen 27 EU-Staaten...

Kompromuss

Die Freunde theatralischer Inszenierungen werden in den nächsten Monaten auf ihre Kosten kommen, wenn sie den Blick auf die Brüsseler Bühne richten. Schließlich steht ein echtes Drama auf dem Programm: Großbritannien und alle anderen 27 EU-Staaten wollen ausloten, wie die Staatengemeinschaft den Briten entgegenkommen kann, damit Premier David Cameron gute Argumente hat, um seine Landsleute beim angekündigten Referendum über einen Verbleib in der EU zu einem Ja überreden zu können.Eine erste Aussprache beim EU-Gipfel hat erkennen lassen, worum es in den nächsten Monaten geht. Cameron braucht gar nicht so große Zugeständnisse, aber reichlich Theaterdonner. Er muss sich auf der Insel glaubwürdig als Kämpfer für britische Interessen selbstdarstellen können, der das Maximale herausholt – selbst wenn das am Ende überhaupt nicht so viel sein dürfte. Vor diesem Hintergrund kann nicht überraschen, dass die Akteure beim EU-Gipfel – also beim Prolog zum großen Schauspiel – allesamt zweierlei herausgestellt haben: Es werden beinharte Verhandlungen. Aber am Ende wird es eine Einigung geben.Diplomaten haben bereits Kernelemente einer Verständigung im Kopf. Erstens wird man gewiss kein Lex Britannica erfinden, also kein Sonderrecht ausschließlich für London. Vielmehr wird man Optionsrechte austüfteln, die theoretisch jedes EU-Land in Anspruch nehmen kann. Zweitens wird die EU zwar Großbritannien nicht erlauben, einreisende Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten pauschal vier Jahre lang vom Bezug sozialer Leistungen auszuschließen. Aber: Das EU-Recht kennt bereits temporär beschränkte Ausnahmen, wenn ein Land nachweisen kann, dass es aufgrund starken Zuzugs aus EU-Nachbarstaaten in Probleme der eigenen Daseinsvorsorge gerät. Mancher erinnert sich vielleicht noch an Klagen Österreichs wegen der Flut deutscher Medizinstudenten, die in Wien oder Salzburg studieren wollten, um später in München oder Hamburg zu praktizieren. Drittens ist absehbar, dass die EU zwar ihre Grundverträge bis zum britischen Referendum nicht ändert. Aber sie wird wohl eine Vertragsänderung in Aussicht stellen.Nach dem EU-Gipfel haben sich viele EU-Regierungschefs zuversichtlich gezeigt, dass eine Verständigung gelingt. Das ist tatsächlich wahrscheinlich. Denn niemand, nicht einmal Cameron, möchte, dass sich das Königreich verabschiedet. Deshalb ist eine Einigung zwischen London und dem Rest der EU über gegenseitiges Entgegenkommen im Grunde zwingend – kein Kompromiss, sondern ein Kompromuss! Dass Cameron irgendwann einschlagen wird, daran herrscht wenig Zweifel. Aus Rücksicht auf die Galerie wird man ihm bis dahin aber noch einige krawallige Auftritte gestatten.