Notiert in Paris

Konsumtempel im XL-Format

Die Eröffnung des ersten Hypermarchés in Frankreich glich einer kleinen Revolution. Das Konzept kam vor allem bei der Mittelschicht gut an. Doch bei jungen Leuten zieht es nicht mehr.

Konsumtempel im XL-Format

Notiert in Paris

Konsumtempel im XL-Format

Einst Inbegriff der Modernität, zieht das Konzept der Hypermarchés nicht mehr

wü Paris
Von Gesche Wüpper

Sie sind genauso typisch für Frankreich wie die zahlreichen Wochenmärkte, die es in den meisten größeren Gemeinden gibt: Riesige Hypermarchés genannte Supermärkte. Das von Carrefour entwickelte Konzept feiert jetzt Jubiläum, denn am 15. Juni vor genau 60 Jahren hat der Einzelhändler im 24 Kilometer südlich von Paris gelegenen Vorort Sainte-Geneviève-des-Bois seinen ersten Hypermarché eröffnet. Seitdem haben die mindestens 5.000, manchmal sogar 10.000 Quadratmeter oder noch größeren Läden lange Zeit den Einzelhandel in Frankreich dominiert. Und die dortige Landschaft geprägt – mit riesigen Parkplätzen vor nicht weniger gigantischen Hallen, die sich entlang der Ausfallstraßen in Gewerbegebieten aneinanderreihen. 

Bei den Supermärkten im XL-Format ist einfach alles überdimensioniert, angefangen bei dem Angebot. Schier endlos wirkende Gänge mit überbordenden Regalen reihen sich aneinander. Es gibt fast alles zu kaufen, egal ob Bücher, Elektronik, Haushaltsgeräte, Heimwerkerbedarf, Kleidung, Möbel, Kosmetik, Wein oder Lebensmittel. Marcel Fournier, Mitgründer und früher Großaktionär von Carrefour, hat die Idee einst aus den Vereinigten Staaten mitgebracht, wo die ersten riesigen Supermärkte in den 1930er Jahren nach der Krise von 1929 entstanden sind. Diese konnten dank Volumeneffekten günstige Preise bieten. 

Nicht nur deshalb glich das Konzept der Hypermarchés in Frankreich 1963 einer kleinen Revolution. Denn in den klassischen Epicerien, die damals noch den Einzelhandel prägten, konnten Kunden im Gegensatz zu den riesigen Supermärkten die Waren nicht selber anfassen. In den 1970ern, 80ern und noch in den 90ern kam das Konzept der riesigen Konsumtempel an, vor allem bei der Mittelschicht, so dass ein XL-Supermarkt nach dem anderen aufmachte. 

15 Jahre nach der Eröffnung des ersten Hypermarchés gab es 350 davon. Heute sind es laut dem Einzelhandelsfachmagazin LSA 2.255, die Übersee-Départements nicht mitgerechnet. Fast 2 von 5 Euros, die französische Verbraucher in Supermärkten ausgeben, entfallen auf Hypermarchés. „Das Modell hat der Nachkriegsgesellschaft entsprochen, die gierig war zu konsumieren“, erklärt Serge Papin, der frühere Chef der Einzelhandelskooperative Système U.

Dann jedoch begann der langsame Niedergang der Hypermarchés. Erst drängten Discounter auf den Markt, dann Internethändler wie Amazon und Co. Die Gewohnheiten der französischen Verbraucher haben sich geändert. Bei jüngeren Konsumenten zieht das Konzept der Hypermarchés nicht mehr. Zu spießig, zu weit entfernt, zu sehr Sinnbild des übermäßigen Konsums und eines Konzepts, das auf der Nutzung von Autos basiert, finden sie.

Das Image der Hypermarchés habe sich verschlechtert, meint der Soziologe Vincent Chabault. Sie stünden nicht länger für Modernität, sondern für lästige Pflichten und Verschwendung. Entsprechend haben die Hypermarchés innerhalb der letzten 20 Jahre 15% Marktanteile verloren. Carrefour-Chef Alexandre Bompard hat versucht, mit seiner Strategie darauf zu reagieren, seit er 2017 das Ruder des Einzelhändlers übernommen hat. Statt auf riesige Hypermarchés setzt er verstärkt auf kleinere Nachbarschaftsformate, Biokost und den Ausbau des Internethandels.  

Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Ausgerechnet die Inflation könnte den Hypermarchés jetzt zu einer Renaissance verhelfen. Denn angesichts der stark gestiegenen Preise entwickeln sich viele französische Verbraucher zu Schnäppchenjägern, die verstärkt Sonderangebote und Eigenmarken in den Einkaufswagen packen. Teurere Bioprodukte dagegen lassen sie inzwischen eher links liegen. Einzelhändler wie Carrefour haben auf die neuen Trends reagiert, nachdem sie bereits zuvor damit begonnen hatten, Flächen und Angebote der Hypermarchés zu reduzieren. Einige haben so wie Carrefour jetzt auch das Bio-Angebot zugunsten der günstigeren Eigenmarken zurückgefahren.  

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