Kriegserklärung an die Faxgeräte
Als Premierminister Yoshihide Suga sein neues Kabinett zum ersten Mal versammelte, nahm er sich die 18 Minister und zwei Ministerinnen einzeln beiseite und gab ihnen jeweils zwei persönliche Aufträge mit auf den Weg. Seine 40 Wünsche summierten sich zum ehrgeizigsten Reformprogramm, das sich ein japanischer Regierungschef je vorgenommen hat. Sugas Kerngedanke lautet, die japanische Bürokratie ins 21. Jahrhundert zu befördern. Dafür ernannte er Takuya Hirai als Minister für digitale Transformation, der zu ebendiesem Zweck eine neue Behörde aufbauen soll, wobei manchen dies als Widerspruch in sich erscheint.Den zweiten Höllenjob erhielt der bisherige Außenminister Taro Kono, der das neue Portfolio für “administrative und regulatorische Reform” übernahm. Aufgrund seiner unverblümten Art, Probleme anzusprechen, gilt der 57-Jährige als durchsetzungsstark. Auf Twitter folgen ihm deswegen zwei Millionen Japaner. Dort weist Kono gerne mal ausländische Journalisten auf Englisch persönlich zurecht, wenn sie in ihren Tweets bei japanischen Namen die westliche Reihenfolge von Vornamen und Nachnamen benutzen, obwohl die japanische Regierung inzwischen wie in China und Korea den Nachnamen nach vorn stellt.Für solche Tadel hat Kono keine Zeit mehr, seitdem er Faxgeräten und Stempeln in der Ministerialbürokratie den Krieg erklärt hat. Japan verwendet diese bei einer Behörde registrierten Stempel für Firmen und Personen – Hanko oder Inkan genannt – anstelle einer Unterschrift. Doch Kono will hier einen radikalen Schnitt vollziehen. Er gab allen Ministerien einen Monat Zeit, auf Faxgeräte und Stempel zu verzichten.Beides hängt eng miteinander zusammen: Viele Dokumente werden hin- und hergefaxt, damit man sie abstempeln kann. Das Fax funktioniert also gleichzeitig als Drucker. Künftig sollen die Beamten ihre Papiere mailen und digital signieren, um die Bearbeitung zu beschleunigen. Konos Kampagne hängt auch mit den Erfahrungen der Corona-Pandemie zusammen. Trotz hoher Infektionsraten mussten viele Arbeitnehmer ins Büro fahren, um Papiere mit der Hand abzustempeln. Selbst auf einem Tablet eingegebene Unterschriften werden von den Behörden nicht akzeptiert: Die Vorschriften verlangen einen Kugelschreiber. Die privaten Unternehmen schwenken schon um: Honda hat die Verwendung von digitalisierten Unterschriften erlaubt. *Als konservativer Politiker kann Kono die Traditionalisten jedoch nicht ganz vor den Kopf stoßen. Deswegen machte er das Zugeständnis, dass Hanko und Inkan für einige Vorgänge weiter notwendig bleiben sollen. Dabei dürfte er an Eheschließungen und andere private Verwaltungsakte denken. Dessen ungeachtet wird Japan die Trennung vom Fax schwerfallen. Die Liebe zu diesem Gerät entstand in den 1970er Jahren, als sich die Telekomfirmen auf ein einheitliches Kommunikationsprotokoll für das ursprünglich schon von Alexander Graham Bell erfundene Gerät einigten. Diese Entwicklung war ein Segen für die Inselnation mit ihren drei verschiedenen Schriftsorten und zahllosen identisch klingenden Wörtern mit unterschiedlichen Bedeutungen, die sich nur in den Schriftzeichen unterscheiden.Vor dem Faxgerät war Japan bei der Übermittlung von Texten auf den Fernschreiber angewiesen, der jedoch nur 60 verschiedene Zeichen verarbeiten konnte. Daher mussten die Japaner jeden Schriftsatz erst einmal in das lateinische Alphabet übertragen. Diese Arbeit fiel bei einer bildlichen Übertragung des Originaldokuments weg. Das Faxgerät bedeutete für Japan also eine Informationsrevolution und setzte sich daher rasant durch. Nun gab es keine Missverständnisse beim Transkribieren mehr; Dokumente und Nachrichten ließen sich in Sekunden statt in Tagen übermitteln. Zwar stellten Computer schon in den neunziger Jahren die japanischen Schriftzeichen schnell und perfekt dar, aber die Japaner wollten mit dem Faxen nicht mehr aufhören. Unterdessen blickt Kono schon weiter: Als er auf seiner Webseite um Ideen für eine bessere Verwaltung bat, erhielt er in wenigen Stunden über 4 000 Vorschläge, die er immer noch auswertet.