LEITARTIKEL

Kurieren am Symptom

Die von einer Bürgerinitiative losgetretene Diskussion um eine Enteignung größerer Vermieter in Berlin konnten die Wohnungsunternehmen noch gelassen sehen. Das war kaum mehr als mediales Gepolter. Weit mehr Sprengkraft entfaltet der geplante...

Kurieren am Symptom

Die von einer Bürgerinitiative losgetretene Diskussion um eine Enteignung größerer Vermieter in Berlin konnten die Wohnungsunternehmen noch gelassen sehen. Das war kaum mehr als mediales Gepolter. Weit mehr Sprengkraft entfaltet der geplante Mietenstopp. Der rot-rot-grüne Senat will die Mieten in der Hauptstadt einfrieren. Anders als die Mietpreisbremse, die wenig Wirkung entfaltet hat, wird diese Regulierung – so sie tatsächlich kommt, wonach es aussieht, und das Gesetz juristisch Bestand hat, was ungewiss ist, – den Markt verändern.Weit über die Stadtgrenzen hinaus stößt das Berliner Vorgehen auf Wohlwollen. Führende SPD-Politiker dringen bereits auf einen bundesweiten Mietenstopp. Damit rückt das Thema “bezahlbares Wohnen” von der Peripherie ins Zentrum der Politik. Es gilt zunehmend als die neue soziale Frage. Schon jetzt ist abzusehen, dass die Mietenpolitik das bald beginnende politische Sommerloch dominieren wird.Eingriffe in den Mietwohnungsmarkt sind populär, weil Menschen häufig berechtigte Angst haben, die Miete künftig kaum noch stemmen zu können. Diejenigen, die eine Wohnung haben, profitieren erst einmal. Und das sind sehr viele – mehr als die Hälfte der Haushalte wohnen zur Miete. Langfristig richtet ein Mietenstopp jedoch viel Schaden an. Er mag das Symptom, den Mietenanstieg, lindern, aber er verschärft die Ursache, den Wohnungsmangel. Denn nur die Erstvermietung von Neubauten soll vom Deckel ausgenommen sein, nicht die Folgeverträge. Ohnehin muss jeder Investor davon ausgehen, dass das Moratorium sehr viel länger als die bisher angekündigten fünf Jahre Bestand haben wird. Die Deckelung setzt den Preismechanismus außer Kraft, der Angebot und Nachfrage reguliert. Die Folge sind Fehlsteuerungen. Die sinkende Mietrendite droht den dringend notwendigen Neubau von Häusern abzuwürgen. Investoren werden ihr Geld anderswo anlegen, etwa am Aktienmarkt oder in Gewerbeimmobilien. So führt die Idee, mit einer Atempause am Mietmarkt Zeit für den Bau neuer Unterkünfte zu gewinnen, in die Irre.Hinzu kommt, dass die Deckelung Anreize vernichtet, in den Bestand zu investieren. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Vermieter die Ausgaben für Instandhaltungen zurückfahren werden. Geradezu kontraproduktiv wirkt die vorgesehene Genehmigungspflicht für Modernisierungen, die zu Mietsteigerungen von mehr als einem halben Euro je Quadratmeter führen. Die Folge: Die Wohnqualität sinkt, notwendige energetische Sanierungen unterbleiben. Mit fatalen Auswirkungen auf die CO2-Bilanz. Gerade die Grünen, die im Berliner Senat mit am Regierungstisch sitzen, müssen sich fragen, warum sie das Ziel torpedieren, den Gebäudebestand bis 2050 nahezu klimaneutral zu machen.Das Tragische am Mietendeckel ist, dass er langfristig ausgerechnet denen schadet, die eigentlich profitieren sollen, nämlich Menschen mit vergleichsweise niedrigem Einkommen. Zum einen stellen eingefrorene Mieten eine Subvention für das Wohnen in Ballungsräumen dar. Sie verstärken den ohnehin starken Zuzug in die Städte, der Konkurrenzkampf um freie Wohnungen wird noch härter. Am Ende werden wirtschaftlich starke Bewerber den Zuschlag bekommen. Alleinerziehende, Arbeitslose und Geringverdiener haben mehr denn je das Nachsehen. Zum anderen ist zu befürchten, dass auf die Dauer das Angebot an Mietwohnungen schrumpft. Investoren werden Immobilien an Eigennutzer veräußern, wenn die Vermietung zunehmend weniger einbringt. Eigene vier Wände kann sich aber nur leisten, wer ausreichend Einkommen oder Vermögen mitbringt. Sozial Schwache zählen nicht dazu.Wie man es dreht und wendet: Bauen ist das einzige Mittel gegen die Auswüchse am Wohnungsmarkt. Doch es passiert noch immer viel zu wenig. Seit 2016 stagniert der Neubau in Deutschland bei 280 000 Einheiten im Jahr, vor allem der Geschosswohnungsbau bleibt weit hinter dem hohen Bedarf in den Städten zurück. Dafür gibt es viele Gründe: fehlendes Bauland, langwierige Genehmigungsverfahren, der Wust an Vorschriften etwa zu Energiestandards oder Stellplätzen, Anwohnerproteste, Fachkräftemangel, steigende Kosten, hohe Steuern. Hier zusammen mit Ländern und Kommunen Abhilfe zu schaffen, wäre vordringliche Aufgabe für Horst Seehofer, der nicht nur Innen- und Heimat-, sondern auch Bundesbauminister ist. Doch die große Koalition wirkt wie gelähmt: Abgesehen von der Einführung eines Baukindergelds und dem Abhalten eines weitgehend verpufften Wohngipfels ist wenig passiert.——Von Helmut KippDer Unmut über stark steigende Mieten setzt die Politik unter Druck. Doch ein Mietendeckel verschärft die Probleme auf dem Wohnungsmarkt weiter.——