Labiles fiskalisches Gleichgewicht

Wie gefährlich ist ein EZB-Exit aus der ultralockeren Geldpolitik für die Stabilität der Eurozone?

Labiles fiskalisches Gleichgewicht

Von Stephan Lorz, FrankfurtAuch wenn Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), nach der jüngsten Ratssitzung noch keinerlei Regung gezeigt hat, dass die Notenbank in absehbarer Zeit aus ihrer ultralockeren Geldpolitik aussteigen wird: Irgendwann wird sie es tun müssen mangels aufkaufbarer Anleihen und immer größeren makroökonomischen Verwerfungen, die ihre Politik mit sich bringt. Dann stellt sich die Frage, wie vor allem die vormaligen Krisenstaaten in der Eurozone den damit einhergehenden Zinsanstieg verkraften können angesichts seither weiter gewachsener Schuldenberge. Denn bisher hat vor allem die EZB mit ihrer Geldpolitik die Zinskosten massiv gedrückt – die Regierungen haben bisher allenfalls den Anstieg der Verschuldung etwas gedämpft. Zinsersparnis schwindetBerechnungen der Bundesbank zufolge haben die Eurostaaten ihre Zinsausgaben seit 2008 durch die Geldpolitik um fast eine Billion Euro senken können (siehe BZ vom 25.7.). Besonders stark profitierte davon Italien, weil die Staatsschuld günstiger refinanziert werden konnte. Die Zinsersparnis für Rom lag immerhin bei 10,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des letzten Jahres. Ähnlich hoch fielen die Entlastungen für die Niederlande, Österreich, Frankreich und Belgien aus. Deutschland liege mit seinen 7,5 % im Mittelfeld, schrieben die Notenbanker.Der Effekt ist wegen der Anleihekäufe der EZB sogar noch etwas größer, weil die Emittenten in diesem Fall die darauf gezahlten Zinsen über den Notenbankgewinn zurückbekommen. Zusammengerechnet bedeutet dies nach einer KfW-Studie (BZ vom 26.7.): Italien und Spanien hätten ihre Haushalte ohne geldpolitische Effekte seither um bis zu 2 % des BIP pro Jahr stärker konsolidieren müssen, um das heutige Niveau zu erreichen. In Italien, so KfW-Ökonom Philipp Ehmer, sei der graduelle Defizitabbau der vergangenen beiden Jahre sogar “nur durch die verringerte Zinsbelastung möglich” gewesen. Das Haushaltsdefizit würde sonst bei über 4 % des BIP liegen. EZB im GefangenendilemmaWie gefährlich ist also von dieser Warte aus betrachtet ein Ausstieg der EZB aus der ultralockeren Geldpolitik für die Staaten des Währungsraums? Kehrt dann die Euro-Krise zurück, weil die Schuldenniveaus seit der Finanzkrise eher noch weiter angestiegen sind? Setzt die EZB durch einen Exit gar die Stabilität der Eurozone aufs Spiel, was sie nicht nur in ihrer geldpolitischen Freiheit hemmen, sondern auch nahezu bewegungsunfähig machen würde?Die Ökonomen der Investmentbank UBS haben diesbezüglich ein paar Szenarien durchgerechnet, kommen aber zu beruhigenden Ergebnissen: Einen gemäßigten Anstieg der Anleiherenditen für Staatspapiere halten sie für zu bewältigen, wobei, wie sie betonen, die hohen Staatsschuldenquoten natürlich “weiterhin im Auge behalten werden müssen” und sowohl der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als auch die EZB im Notfall bereitstehen müssen.Letztlich kommt es zudem darauf an, wann und in welchem Ausmaß die Teuerung anspringt. Zwar wirkt eine höhere Inflation auch zinssteigernd, doch genauso wichtig ist ihr Einfluss auf das Nominalwachstum, was als Gradmesser der Schuldentragfähigkeit gilt. Eine Art Nullsummenspiel also? Die UBS-Ökonomen gehen davon aus, dass in den vorliegenden Fällen die Inflationsnormalisierung die Auswirkungen höherer Anleiherendite sogar eher überwiegen dürfte.Hinzu kommt, dass die niedrigeren Renditen noch gar nicht komplett im Schuldenmanagement angekommen sind, weil noch nicht alle Vorkrisenpapiere überwälzt wurden. Insofern dürfte die zinssenkende Wirkung noch einige Zeit anhalten (siehe Grafik). Für Italien könnte dieser Effekt – die bisherige Schuldenstruktur vor Augen – danach um das Jahr 2020 auslaufen, für Frankreich noch etwas später.Weitere Faktoren wie ein höherer Euro-Kurs sind dabei außer Acht gelassen, weil dieser sowohl die Inflationsentwicklung als auch das Wirtschaftswachstum beeinflusst, was nur schwer abzuschätzen ist. Mittelfristig bleiben also weiterhin, schreiben die UBS-Ökonomen, Konjunkturentwicklung und Haushaltsdisziplin die entscheidenden Kriterien, die darüber entscheiden, ob die Stabilität der Eurozone auch bei höherer Inflation und bei höheren Anleihezinsen gewahrt werden kann. Konsolidierung entscheidendDie Kritik der Bundesbank, dass die niedrigen Zinsen viele Regierungen von der Konsolidierungspolitik wieder abgebracht haben, muss deshalb noch schärfer akzentuiert werden. Denn entgegen manchen Strömungen in der Wirtschaftswissenschaft, die längst wieder die Segnungen einer neuen Schuldenpolitik preisen, bleibt die Vorgabe ausgeglichener Haushalte der Garant für die Fortexistenz der Währungsunion.