Lagarde, die EZB und das "Teamwork"

Notenbanker dringen auf formale Voten - Keine Vorankündigungen mehr

Lagarde, die EZB und das "Teamwork"

Von Mark Schrörs, FrankfurtMario Draghi hat als EZB-Präsident immer wieder für reichlich Ärger im EZB-Rat gesorgt. So manchem Notenbanker stieß übel auf, dass Draghi Entscheidungen oft im Alleingang oder allenfalls in Abstimmung mit engen Vertrauten (“Küchenkabinett”) vorantrieb, häufig wenig Wert auf Konsens legte und den Rat immer mal wieder mit öffentlichen Vorankündigungen unter Zugzwang setzte. In dem beispiellosen Widerstand gegen das September-Lockerungspaket entlud sich auch dieser Frust.Für Neu-EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist die schlechte Stimmung und die tiefe Spaltung im EZB-Rat sicher eine der größten Herausforderungen (vgl. Schwerpunkt vom 31. Oktober). Sie wolle “mit Teamwork beginnen”, hatte sie vor Amtsantritt gesagt. Wie dieses Teamwork aussehen könnte, davon haben einige im EZB-Rat schon genaue Vorstellungen – wie nun auch ein Bericht der “Financial Times” offenlegt.Einige Notenbanker dringen darauf, regelmäßig oder gar immer formal über geldpolitische Entscheidungen abzustimmen. Bislang passiert das nur in Ausnahmefällen. Hinter dem Vorschlag dürfte auch Ärger darüber stecken, dass Draghi im September gesagt hatte, dass es selbst bei der Wiederaufnahme breiter Nettoanleihekäufe (Quantitative Easing, QE) eine so “klare Mehrheit” gegeben habe, dass eine formale Abstimmung nicht nötig gewesen sei. Tatsächlich waren zehn der 25 Ratsmitglieder gegen neue Nettokäufe – ein beispielloser Widerspruch. Mehrheit an “Tauben” im RatBei anderen Zentralbanken wie der US-Notenbank Fed oder der Bank of England sind solche Abstimmungen üblich. Dort werden sie anschließend dann auch veröffentlicht und auch namentlich genannt, wer wie abgestimmt hat. Das, vor allem aber die namentliche Nennung, war bei der EZB bei der Gründung vermieden worden – primär mit dem Argument, die nationalen Zentralbankchefs im EZB-Rat sollte nicht in ihren Ländern unter Druck geraten. Zuletzt hatte es 2013 erneut eine Diskussion gegeben, die aber im Sand verlief.Tatsächlich spricht inzwischen aber vieles dafür, das Abstimmungsverhalten im EZB-Rat zu veröffentlichen. Allerdings ist kaum zu erwarten, dass sich die Geldpolitik im Euroraum groß ändert: Im EZB-Rat gibt es eine strukturelle Mehrheit der sogenannten “Tauben”, die für eine eher lockere Geldpolitik votieren.Ein anderer Vorstoß zielt laut FT darauf, dass Lagarde geldpolitische Maßnahmen künftig nicht öffentlich vorab ankündigt. Als Draghi etwa im Juli 2012 in London versprach, alles zu tun (“whatever it takes”), um den Euro zu erhalten, waren seine Notenbankkollegen nicht eingeweiht. Und ähnlich war es auch im August 2014, als er beim Zentralbankertreffen in Jackson Hole quasi den QE-Beginn vorankündigte, und im Juni 2019, als er beim EZB-Forum in Sintra das September-Paket avisierte.Draghi-Unterstützer sehen aber gerade die Entschlossenheit Draghis als entscheidend dafür an, dass die EZB im Notfall schnell und entschlossen agiert hat. Die Frage ist zudem, inwieweit sich Lagarde den eigenen Handlungsraum einschränken lassen will. Sie gilt zwar als diplomatischer und konsensorientierter als Draghi, und ihr dürfte an weniger Frust gelegen sein – aber ihr Gestaltungsanspruch als EZB-Präsidentin wird sicher kaum geringer sein.