Lagarde rüttelt am Prinzip der Marktneutralität

EZB-Chefin: Thema gehört auf den Prüfstand

Lagarde rüttelt am Prinzip der Marktneutralität

ms Frankfurt – In der Debatte über eine “grünere” Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) rückt auch das bislang unumstößliche Prinzip der Marktneutralität bei den Anleihekäufen immer stärker in den Fokus. Gestern sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei einer Online-Rede, bei der laufenden Strategieüberprüfung müsse die Marktneutralität auf den Prüfstand gestellt werden. Das Thema ist sensibel, weil die Marktneutralität von der EZB lange Zeit hochgehalten wurde und sie zumindest bislang für einige EZB-Ratsmitglieder sehr wichtig war.Im Kern besagt das Prinzip, dass die EZB ihre Anleihekäufe im Zuge der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE) so gestaltet, dass es möglichst keine Marktverzerrung im Sinne einer Bevorzugung einzelner Sektoren oder Unternehmen gibt. Konkret heißt das beispielsweise, dass als grün deklarierte Bonds nicht verstärkt gekauft werden. Genau das, also eine Art “grünes QE”, fordern viele Beobachter als EZB-Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel.Lagarde sagte nun, dass “angesichts dessen, was ich als Marktversagen bezeichne”, die EZB sich fragen müsse, “ob die Marktneutralität das eigentliche Prinzip sein sollte, das unser geldpolitisches Portfoliomanagement bestimmt”. Weiter sagte sie: “Ich urteile nicht darüber, dass es nicht mehr so sein sollte, aber es rechtfertigt die Frage, und das ist etwas, was wir im Rahmen unserer Strategieüberprüfung tun werden.”Lagarde sagte auch, dass sich die Zentralbanker “die Frage stellen müssen, ob wir nicht ein übermäßiges Risiko eingehen, indem wir einfach Mechanismen vertrauen, die das massive Risiko, das da draußen besteht, nicht eingepreist haben”.Zuletzt hatte bereits EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel mehrfach auf das Argument hingewiesen, dass die Märkte die Klimarisiken nicht angemessen bepreisten, so dass es eine Marktverzerrung gebe und daher die Marktneutralität möglicherweise nicht der richtige Maßstab sei. Auch Lagarde hatte nach Amtsantritt im November 2019 schon einmal an dem Prinzip gerüttelt.Nicht zuletzt die Bundesbank und Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatten die Marktneutralität bis zuletzt immer als ehernes Prinzip bezeichnet und verteidigt. Weidmann sieht überhaupt beim Klimawandel primär die Politik und weniger die Geldpolitik in der Pflicht.