EUROPEAN BANKING CONGRESS

Lagarde und die Tücken der digitalen Zukunft

Von Mark Schrörs, Frankfurt Börsen-Zeitung, 21.11.2020 Irgendwann macht EZB-Präsidentin Christine Lagarde - halb amüsiert, halb verzweifelt - nur noch das bekannte Handzeichen fürs Telefonieren - Daumen und kleiner Finger gespreizt, die Hand nahe...

Lagarde und die Tücken der digitalen Zukunft

Von Mark Schrörs, FrankfurtIrgendwann macht EZB-Präsidentin Christine Lagarde – halb amüsiert, halb verzweifelt – nur noch das bekannte Handzeichen fürs Telefonieren – Daumen und kleiner Finger gespreizt, die Hand nahe am Ohr. Minutenlang hat es da am Freitag beim digitalen European Banking Congress (EBC) nicht geklappt, sie für die Keynote am Morgen virtuell zuzuschalten. Lagarde ist zwar auf dem Bildschirm zu sehen, wie sie da in der EZB sitzt, im schwarzen Blazer und mit rosafarbenem Tuch, Perlenkette sowie der inzwischen fast schon legendären Eulen-Brosche am Revers. Einzig: Zu hören ist sie nicht. “Das ist der Moment, in dem ein virtueller Event frustrierend wird”, sagt Moderatorin Melinda Crane und lächelt angestrengt in die Kamera.Wie so viele Veranstaltungen in diesem Jahr und in diesen Tagen findet auch der Bankenkongress, der traditionell die Euro Finance Week abschließt, am Freitag rein digital statt. “Towards a New Sustainable Growth Model” – so lautet das Thema; es geht also um die Suche nach einem neuen Modell für nachhaltiges Wachstum in der Zukunft. Da spielen, kein Wunder, natürlich die Digitalisierung und die damit verbundenen Risiken, aber auch die Chancen, eine zentrale Rolle. Und gleich am Morgen zeigen sich eben auch die möglichen Tücken der digitalen Zukunft.Als es das erste Mal nicht klappt, Lagarde zuzuschalten, springt Mark Tucker, Chef der britischen Großbank HSBC und in diesem Jahr EBC-Chairman, in die Bresche und schaltet sich wie beim Grußwort zuvor wieder via Bildschirm in das kleine Studio zu, das eigens in der Alten Oper aufgebaut ist. Tucker, ganz schlicht im weißen Hemd und ohne Krawatte, plaudert mit Crane über die Herausforderungen der Coronakrise und den Kampf gegen den Klimawandel. Seine Botschaft: Die Banken müssen in der aktuellen Phase ihrer Verantwortung für die Wirtschaft gerecht werden und zugleich ihre Geschäftsmodelle radikal auf die neue Zukunft ausrichten – und auch mehr tun für den Klimaschutz.Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing ist es dann, der aushilft, als auch der zweite Versuch scheitert, Lagarde einzubeziehen und Cranes Blicke und Fragen in Richtung der im Hintergrund offenbar hektisch wuselnden Techniker immer verzweifelter werden. Und das ganz “analog”, denn Sewing ist die wenigen hundert Meter von den Zwillingstürmen der Deutschen Bank hinüber in die Alte Oper gekommen. “Es ist schön, sie hier zu haben”, sagt Crane sichtlich erleichtert zu Sewing, der mit Abstand am weißen Stehtisch neben der Moderatorin steht, seine Aktenmappe und seinen Mund-Nasen-Schutz auf dem Tisch abgelegt.Sewing spricht über die Zukunft der Deutschen Bank, die eingeleitete Transformation des Instituts und über das Krisenmanagement in der Coronakrise. “Man muss den Regierungen, Notenbanken und Aufsehern gratulieren”, sagt Sewing. Die ergriffenen Maßnahmen seien beispiellos gewesen – “eine gigantische Infusion von Geld ins System”. Das sei aber absolut richtig und zeitig gewesen. Trotzdem müssten langfristig auch die möglichen negativen Nebeneffekte in den Blick genommen werden. Die Hilfen müssten in Zukunft sicher “gezielter” werden, mahnt Sewing, der wenige Tage zuvor mit der Aussage hat aufhorchen lassen, man müsse in der Krise mehr Unternehmen pleitegehen lassen: “Wir müssen ein gewisses Maß an kreativer Zerstörung zulassen.”Als Crane ihn schließlich auf den aktuellen Trend zum Homeoffice anspricht und fragt, ob die riesigen Deutsche-Bank-Türme in Zukunft leer stehen werden, lächelt Sewing und antwortet dann: “Ich bin sicher, dass unsere Türme im kommenden Jahr wieder belegt sein werden.” Für die Zukunft erwartet er auch für sein Institut eine Mischung aus Präsenz im Büro und Homeoffice. “Wir werden anders aufgestellt sein und es wird eine Art Hybrid-Modell geben.” Entschieden stellt er sich aber gegen den Abgesang auf das Büro – etwa, um Mietkosten zu sparen: Neue Ideen und Innovationen entstünden vor allem dann, wenn Menschen physisch zusammenkämen und zusammenarbeiteten.Lagarde schließlich greift genau das auf, als sie getreu dem Motto: Aller guten Dinge sind drei, endlich zu hören ist – mit rund 20 Minuten Verspätung. Sie spricht nicht über den Wirtschaftsausblick und die künftige Geldpolitik. In den Tagen zuvor hat sie aber auch immer wieder das Feld bereitet für eine erneute deutliche Lockerung der Geldpolitik bei der Sitzung des EZB-Rats am 10. November. Ihr Thema sind Innovation und Bildung.Die Notenbankchefin betont die Chancen der Digitalisierung auch für die Euro-Wirtschaft: “Die Einführung von IT ist ein Schlüsselfaktor dafür, dass die Vereinigten Staaten seit den 1990er Jahren ein schnelleres Produktivitätswachstum aufweisen als Europa.” Sie appelliert an die Politik, die Privatwirtschaft auf diesem Weg zu unterstützen: “Regierungen können dazu beitragen, dass wissenschaftliche Ideen kommerzielle Realität werden, indem sie Forschung und Lehre in unseren Innovationsökosystemen enger miteinander verknüpfen.” Und sie versucht, mit der Digitalisierung verbundene Ängste, etwa vor Jobverlusten, zu dämpfen: “Nach einer Schätzung wird eine schnellere Automatisierung als Folge der Pandemie bis 2025 85 Millionen Arbeitsplätze in 26 Ländern zerstören, aber auch 97 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen – ein Nettogewinn von 12 Millionen.” Die Lehre vom kleinen PrinzLagarde beendet ihre Rede schließlich – erst auf Französisch und dann wieder in Englisch – mit einem Zitat aus dem Buchklassiker “Der kleine Prinz” von Antoine de Saint-Exupéry: “Unsere Aufgabe ist es nicht, die Zukunft vorherzusehen, sondern sie zu ermöglichen.” Wenn denn die Technik mitspielt.——Es braucht gleich drei Versuche, bis EZB-Präsidentin Lagarde beim EBC zu hören ist. ——