Lagarde will PEPP-Volumen voll ausschöpfen

EZB-Chefin: Weniger Käufe nur bei großen positiven Überraschungen - Hitzige Debatte über Kapitalschlüssel - Appell an die EU-Politik

Lagarde will PEPP-Volumen voll ausschöpfen

Zum letzten Mal vor der Sommerpause hat der EZB-Rat gestern seinen geldpolitischen Kurs festgelegt. Zwar gab es keine Änderungen, aber EZB-Chefin Christine Lagarde wurde in einigen Punkten sehr deutlich. Die Blicke der Euro-Hüter richten sich nun auch auf den heute beginnenden EU-Gipfel in Brüssel.ms Frankfurt – EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich entschieden gegen Spekulationen gestellt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP womöglich gar nicht voll ausschöpft. Ein geringeres Volumen als die aktuell veranschlagten 1,35 Bill. Euro werde es nur geben, wenn es bei der Entwicklung der Krise zu “erheblichen positiven Überraschungen” komme, betonte Lagarde gestern nach den zweitägigen Beratungen des EZB-Rats. “Das ist nicht das, was im Moment in den Karten steht”, sagte sie.In den vergangenen Wochen hatten unter Marktteilnehmern und Volkswirten Diskussionen zugenommen, dass die EZB die 1,35 Bill. Euro nicht komplett ausschöpfen könnte. Hintergrund waren zum einen die Beruhigung der Lage an den Finanzmärkten und bessere Konjunkturdaten als zuvor. Zum anderen hatten aber auch einige Euro-Notenbanker erklärt, dass es nicht zwingend nötig sei, den Rahmen voll zu nutzen, wenn es auch mit weniger ginge. So hatte sich etwa unlängst auch EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel geäußert. Diese Notenbanker dürften ihre Meinung kaum geändert haben – trotz der gestrigen Ansage von Lagarde.Im Kampf gegen die Coronakrise und die Jahrhundertrezession hatte der EZB-Rat Mitte März das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) aufgelegt. Bereits Anfang Juni stockte er dann das ursprüngliche Volumen von 750 Mrd. Euro um 600 Mrd. Euro auf und verlängerte PEPP über Ende 2020 hinaus bis mindestens Mitte 2021.Lagarde untermauerte gestern, dass PEPP eine “duale Funktion” habe: Einerseits sei das Ziel, eine Fragmentierung der Finanzmärkte im Euroraum zu verhindern und die Transmission der Geldpolitik in allen Euro-Ländern zu sichern. Andererseits gehe es darum, die Finanzierungsbedingungen zu lockern, um so dazu beizutragen, dass sich der Inflationspfad wieder dem Pfad wie vor Ausbruch der Pandemie annähere. Dass sich die Märkte beruhigt hätten, sei deshalb allein noch kein Grund, etwas an PEPP zu ändern.Mit Blick auf die jüngsten Konjunkturdaten sagte Lagarde zwar, dass sich die wirtschaftliche Aktivität im Mai und Juni “erheblich verbessert” habe. Zugleich schränkte sie aber ein: “Gleichwohl bleibt das Niveau der Aktivitäten deutlich unterhalb der Niveaus von vor der Coronavirus-Pandemie.” Die wirtschaftliche Erholung stecke noch in einem frühen Stadium und sei uneinheitlich. Der Ausblick sei hochgradig unsicher. Daher sei weiter eine kräftige Unterstützung durch die EZB erforderlich. Der EZB-Rat untermauerte auch seine grundsätzliche Bereitschaft, im Notfall weiter nachzulegen – zumal die Inflation weit unterhalb des mittelfristigen Ziels von knapp 2 % liegt.Zu der auch unter Euro-Notenbankern zunehmenden Diskussion über den EZB-Kapitalschlüssel als Orientierung für die Aufteilung der PEPP-Käufe auf die Euro-Länder wurde Lagarde sehr deutlich. Der Kapitalschlüssel bleibe die Richtschnur, aber die EZB werde niemals zulassen, dass das die Effektivität der Geldpolitik behindere. Vor allem Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau sieht im Kapitalschlüssel einen Nachteil für die Effektivität und Effizienz von PEPP. Bundesbankchef Jens Weidmann und andere halten dagegen (vgl. u. a. BZ vom 27. Mai).Erstmals quantifizierte Lagarde auch den erwarteten Effekt der seit März ergriffenen Maßnahmen auf Wachstum und Inflation. Demnach erhöhen die Maßnahmen wie die Anleihekäufe und die enormen Liquiditätsspritzen für die Banken das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis Ende 2022 um kumuliert 1,3 %. Auf Inflationsseite stehe im gleichen Zeitraum ein Effekt von 0,8 %. Die Maßnahmen seien “effektiv und effizient”, sagte Lagarde.Anders als von zumindest einigen Beobachtern spekuliert, weitete die EZB gestern die Ausnahmen nicht aus, die sie Euro-Banken vom negativen Einlagenzins von aktuell – 0,5 % gewährt – obwohl die Überschussliquidität im System auf fast 2,8 Bill. Euro gestiegen ist. Mit Blick auf die Banken appellierte Lagarde aber an die Fiskalpolitik, falls nötig staatliche Garantien bei der Kreditvergabe zu verlängern. In der jüngsten Kreditumfrage hatten sich Banken besorgt gezeigt über das Auslaufen der Garantien (vgl. BZ vom 15. Juli). Eine Kreditklemme könnte die wirtschaftliche Krise verschärfen.Einen Tag vor dem heute beginnenden EU-Gipfel zum EU-Haushalt und dem Wiederaufbaufonds nach der Krise mahnte Lagarde eine schnelle Einigung an. “Es ist wichtig, dass sich die Verantwortlichen in Europa schnell auf ein ehrgeiziges Paket einigen”, sagte sie. Die Notenbank hoffe “sehr stark” auf eine Einigung auf das vorgeschlagene 750-Mrd.-Euro-Paket, um die Wirtschaftsentwicklung zu unterstützen.