LEITARTIKEL

Lagardes Grenzen

Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde will gleich zu Beginn ihrer Amtszeit die Strategie der Europäischen Zentralbank (EZB) umfassend auf den Prüfstand stellen. Das ist absolut richtig: Inzwischen ist es mehr als 16 Jahre her, dass die EZB 2003...

Lagardes Grenzen

Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde will gleich zu Beginn ihrer Amtszeit die Strategie der Europäischen Zentralbank (EZB) umfassend auf den Prüfstand stellen. Das ist absolut richtig: Inzwischen ist es mehr als 16 Jahre her, dass die EZB 2003 ihre Strategie letztmalig überprüft hat. Die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte haben sich seitdem gravierend verändert. Zudem hat speziell die Weltfinanzkrise langjährige Gewissheiten der Geldpolitik in Frage gestellt, und die Zentralbanken betreiben aktuell mitunter Geldpolitik im Blindflug. Genauso richtig ist aber auch, dass ein solcher Prozess Zeit erfordert. Leichtfertige Schnellschüsse können schnell nach hinten losgehen.Weil das Mandat – Preisstabilität – im EU-Vertrag verankert und damit nahezu unantastbar ist, dürfte und sollte sich die Diskussion insbesondere um das Ziel von mittelfristig unter, aber nahe 2 % drehen. Aktuell spricht zwar unter dem Strich wenig dafür, dieses Ziel zu erhöhen oder zu senken. Nötig ist aber mehr Klarheit, weil die Interpretationen im EZB-Rat stark divergieren. Ein Ziel- oder Toleranzband rund um ein Punktziel kann dabei viel Sinn machen. Denn es ist eine Illusion zu glauben, die Zentralbanken könnten die Inflation feinsteuern. Auch die EZB sollte sich dabei von der mitunter wahnhaften Fixierung auf die zum Heiligen Gral der Geldpolitik überhöhten (marktbasierten) Inflationserwartungen lösen.Generell braucht die EZB, wie auch andere Zentralbanken, die nötige Flexibilität, was vor allem für den geldpolitischen Horizont gilt. Je nach Schwere und Ursache eines Schocks dauert es schlicht länger, bis die Inflation wieder auf Ziel liegt. Die EZB sollte deshalb wieder die Mittelfristigkeit ihres Ziels stärker hervorheben. Dieser Bedarf an Flexibilität spricht auch gegen rigide, mechanistische Strategien, nach denen ein Unterschießen des Ziels um x Prozentpunkte in der Zukunft exakt ausgeglichen werden muss. In der Theorie mag eine solche “make-up strategy”, wie sie die Fed jetzt erwägt, Vorteile bergen. In der Praxis wirft sie aber viele Fragen und noch mehr Probleme auf. Die EZB sollte zudem die monetäre Säule nicht komplett über Bord werfen. Die Analyse von Geldmengen und Kreditvergabe kann wichtige Erkenntnisse über Finanzstabilitätsrisiken liefern. Denn finanzielle Boom-Bust-Zyklen haben extrem schädliche Folgen für Wachstum und Inflation.Die Strategieüberprüfung sollte auch genutzt werden, die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik wieder klarer zu machen. Sicher, die Grenzen waren schon immer fließend, und sie sind in der Weltfinanzkrise noch mehr verschwommen. Statt diesen unseligen Zustand festzuschreiben, braucht es aber vielmehr wieder eine striktere Abgrenzung. Das Risiko einer “fiskalischen Dominanz”, in der die Sicherung der Solvenz der Staaten den geldpolitischen Kurs bestimmt, ist aktuell so real wie selten. Deswegen sind auch Vorschläge wie “Helikoptergeld” so gefährlich. Die “monetäre Dominanz” muss verteidigt werden – auch durch eine Entpolitisierung der Geldpolitik.Die nötige Entpolitisierung macht auch die von Lagarde initiierte Diskussion über eine stärkere Rolle der EZB im Kampf gegen den Klimawandel so riskant. Keine Frage, der Klimawandel stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar, und er ist auch für Zentralbanken ein sehr wichtiges Thema. Als Bankenaufsicht und Wächter der Finanzstabilität muss die EZB etwa die finanziellen Risiken aus dem Klimawandel analysieren und versuchen, diese einzudämmen – Stichwort: Klimastresstests. Klimarisiken müssen zudem in die makroökonomischen Modelle der EZB integriert werden. Zudem können die Euro-Zentralbanken sicher im Bereich der Eigenportfolios oder als Fiskalagent für andere Wegbereiter für Nachhaltigkeit sein. Eine Ausrichtung der Geldpolitik am Klimawandel wäre aber ein großes Risiko.——Von Mark Schrörs Die EZB tut gut daran, ihre Strategie zu überprüfen. Schnellschüsse sollte sie aber tunlichst vermeiden. Und sie taugt nicht als Klimaretter.——